Wenn das Unheimliche sich Platz verschafft: Prosper Mérimée

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Anton Thuswaldner blickt mit Mérimées „Tamango“ in die Abgründe der menschlichen Seele.

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Anton Thuswaldner blickt mit Mérimées „Tamango“ in die Abgründe der menschlichen Seele.

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Er versuchte sich an einem großen historischen Roman, schrieb Theaterstücke und Lyrik, seinen Nachruhm aber begründen seine Erzählungen, die bis heute als Meisterwerke gelten. Prosper Mérimée (1803–1870) war zeitweise Senator, sicherte sich Einfluss auf Kaiserin Eugénie, was ihn am Hof von Napoleon III. in einen guten Stand versetzte. Als Generalkonservator für Baudenkmäler hätte er eigentlich ausgelastet sein können, vom Schreiben konnte er dennoch nicht lassen.

Was von seinen Erzählungen tatsächlich zu halten ist, lässt sich jetzt leicht an drei kurzen Novellen überprüfen, die in bibliophiler Aufmachung erschienen sind. Wieder ist von einem der zahlreichen Mysterien zu berichten, dass einer der Bedeutenden in der Versenkung verschwunden ist. Der Band erscheint in der von Andreas Nohl herausgegebenen Reihe „Steidl Nocturnes“, wo Geschichten, denen mit reiner Vernunft zu kommen sich als aussichtslos erwiese, ihren Platz haben.

Mérimée eignet sich schon deshalb gut, weil er tief in die Abgründe der menschlichen Seele zu blicken sich nicht scheut. Das Unheimliche zieht ihn an, wenn er das frappierende Handeln von Menschen beobachtet, die in emotionale Ausnahmezustände geraten. Man muss sich nur „Mateo Falcone“ ansehen, eine Novelle, die selbst Rosa Luxemburg im Jahr 1914 gereizt hat zu übersetzen. Ein Mann rastet aus. Er tötet seinen Sohn, dem er vorwirft, die Familienehre verletzt zu haben. Dass es Traditionen gibt, die dringend über Bord geworfen gehören, leuchtete Rosa Luxemburg, die ihr Leben in den Dienst einer friedlichen und gerechten zukünftigen Gesellschaft stellte, unmittelbar ein.

Überhaupt sind die Überlebenschancen für Figuren, die in einer Mérimée-Geschichte vorkommen, verdächtig gering, die Hemmschwellen zur Unmenschlichkeit auffallend niedrig. In der Titelgeschichte setzt sich ein Kapitän über das Verbot der Sklaverei hinweg, um in Afrika mit dem zwielichtigen Menschenhändler Tamango Geschäfte zu machen. Das geht für niemanden gut aus, nicht für die Franzosen, die bei einem Aufstand an Bord umkommen, nicht für Tamango, nicht für die Sklaven.

In der Welt des Prosper Mérimée ist die Zeit des Handelns angebrochen, so drängend und impulsiv, dass für Reflexion keine Zeit bleibt. Das rächt sich, wie Mérimée nicht müde wird in immer neuen Ansätzen zu beweisen. Dazu bewegt er sich quer durch die Milieus und sucht die unterschiedlichsten Orte auf. Sein eigenes Staunen verbirgt er hinter einer Sprache, die Leidenschaften dämpft und auf Sachlichkeit eingeschworen ist. Das macht die Sache nur noch beklemmender, nimmt hier einer doch hin, dass der Mensch keineswegs Herr im eigenen Haus der Seele ist.

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