Emotionale Hochschaubahn

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Bunt, witzig, schrill: Terry Zwigoffs Teenagerfilm "Ghost World" ist in jeder Hinsicht ein Vergnügen.

Ghost World" hat nichts mit Jenseits und Horror zu tun: Humorvoll und einfühlsam begleitet Regisseur Terry Zwigoff die sperrige Außenseiterin Enid auf einer Hochschaubahn der Gefühle durch den Sommer nach dem Highschool-Abschluss. Gekonnt nimmt Zwigoff die heile, moralinsaure amerikanische Scheinwelt aufs Korn, in der Enid keinen Platz finden kann. "Ghost World" liefert das präzise Porträt eines Teenagers am Selbstfindungstrip. Als Enid ist Thora Birch, bekannt durch ihre oskar-nominierte Performance in "American Beauty", eine Traumbesetzung.

Schon die Zeugnisverteilung zeigt Enids Dilemma: die rührselige Rede einer ehemaligen drogensüchtigen Klassenkollegin im Rollstuhl, die mit dem Appell an Glaube, Hoffnung und Sinn für Humor endet, nervt Enid ebenso wie die aufgesetzte, oberflächliche Smalltalk-Heiterkeit ihrer Klassenkolleginnen und die smarten, sportbegeisterten Jungen auf der Abschlussparty. Von Anfang an ist klar: Enid ist nicht wie alle anderen und will auch nie so werden. Sie will nicht aufs College, will nicht jobben, selbst die Arbeit in einem Fast-Food-Lokal scheitert an ihrer spitzen Zunge und ihrem unangepassten Verhalten. Ihre Gemütslage ändert sich so rasch wie ihr Outfit: mit grünen oder schwarzen Haaren, blutroten oder fahlen Lippen, im Mini mit Netzstrümpfen und klobigen Schuhen durchstreift sie die vorgartenbestückten Einfamilienhäuser, Einkaufspassagen, Videoshops und Tankstellen Kaliforniens. Zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zählt es, mit ihrer Freundin Rebecca (Scarlett Johansson) den geheimen gemeinsamen Schwarm Josh (Brad Renfro) während seiner Arbeit in einem Selbstbedienungsladen zu nerven. Ziellosigkeit, Verletzlichkeit und die Sehnsucht nach Liebe verbirgt Enid hinter bissiger Ruppigkeit, auf der Suche nach sich selbst kaschiert sie innere Leere mit allen möglichen Aktionen.

Im Kampf gegen nachmittägliche Langeweile kommt ihr die Idee, auf eine Anzeige zu antworten. Sie gibt sich als jene Frau aus, die ihr Opfer Seymour (Steve Buscemi) nach einer prägenden Begegnung verzweifelt sucht, und lädt ihn in eines ihrer Lieblingscafes, das kitschig-schaurige 50er Jahre Imitat "Wowsville". Gemeinsam mit Rebecca und Josh beobachtet sie mit diebischem Vergnügen die Qual des wartenden Seymour. Sein Outfit, seine Bestellung - ein großes Glas Milch -, das Auto, das er fährt: alles an ihm gibt Anlass zum Spott. Gerade, weil er dem Klischee des "Jungen von nebenan" überhaupt nicht entspricht und absolut "uncool" ist, erweckt er Enids Interesse, das sie mit aller Kraft verbergen will. Sie verfolgt ihn, kauft ihm eine alte Platte ab, nimmt seine schrulligen Freunde in Kauf und beginnt sich in ihn zu verlieben, ohne dass sie es selbst wahrhaben will. Mit zunehmender Nähe zu Seymour beginnt die Entfremdung zu Rebecca, die in einem Coffee-Shop arbeitet und immer weniger Verständnis für Enids Arbeitsscheu und ihre Schrullen aufbringt. Der Traum der gemeinsamen Wohnung zerschellt an unausgesprochenen Differenzen. Als Enid wider Erwarten den heimlich geliebten Seymour ausgerechnet mit jener Frau erfolgreich verkuppelt hat, die er per Anzeige gesucht hatte, und noch dazu die gehasste Ex-Freundin des Vaters wieder einzieht, ist das Chaos perfekt.

Nach einem fulminanten Show- down der Emotionen endet "Ghost World" für Enid mit einer grundsätzlichen Erkenntnis und für Seymour bei der Psychotherapeutin. Eine wunderbare Mischung aus Humor und Tiefgang mit fulminanten Hauptdarstellern.

USA 2001. Regie: Terry Zwigoff. Mit Thora Birch, Steve Buscemi, Scarlett Johansson, Brad Renfro, Illeana Douglas, Teri Garr, Bob Balaban u.a. 111 Min.

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