Geistige Deregulierung

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Manfred Jochum, ORF-Hörfunkintendant bis 2002, setzt sich in einem luziden Essay äußerst kritisch mit der modernen Medien- und Informationsgesellschaft auseinander.

Großes Heil ist der Welt erflossen: Der Hausmeister ist an den Kosmos angeschlossen", spottete Karl Kraus in den Geburtstagen des Radios. Manfred Jochum bringt dieses Zitat gleich auf der ersten Seite seines Buches - und es korrespondiert in seinem kulturpessimistischen Tonfall mit dem Titel des vorliegenden schmalen Bandes: "Bis uns Hören und Sehen vergehen".

Jochum hält, was er verspricht: Die Untiefen der modernen Mediengesellschaft werden gnadenlos aufgezeigt, durchaus zustimmend wird etwa Jochen Hörisch mit dem Satz zitiert, Fernsehen sei das "Medium für Idioten" - "Idiot" im Wortsinn verstanden als den, der nur das "Eigene" sieht, als "den Analphabeten, denjenigen, der nicht an der allgemeinen Diskussionslage teilnehmen kann, weil er eben der Schrift und der ihr anvertrauten Argumente unkundig ist", wie Jochum schreibt. Hier wird aber auch die Dialektik der Medien, in diesem Falle des Fernsehens, greifbar: Gerade weil das Fernsehen für Analphabeten so gut geeignet ist, konnte ihm, wenigstens in der Frühzeit, eine volksbildnerische und aufklärerische Funktion zukommen.

Was die Gegenwart betrifft, so dürfte Jochum da schon skeptischer sein: "Heute steht das Fernsehen unter dem Diktat der Fernbedienung", beruft er sich auf den deutschen Kommunikationstheoretiker Thomas Meyer, der "Dienst am Massengeschmack ... reduziert laufend das kulturelle und politische Anspruchsniveau".

Noch stärkeren Tobak hält Jochum im Hinblick auf das Internet für die Fortschrittseuphoriker und Sehen-wir-die-Dinge-doch-gelassen-Apologeten bereit: "Was ist das Internet für ein Spielzeug', das auch zur Gewalt und Destruktivität aufruft, in dem die anonyme Anleitung zum Terror vorhanden ist, das in hohem Maße Irrationalismen wie den ganzen New Age- und Esoterik-Schmus wahllos befördert? Was ist das für ein Spielzeug, das virtuellen Sex in seinen schamlosesten und beklemmendsten Varianten anbietet und wesentlich zu einer geistig-moralischen Deregulierung beiträgt? Das alles nur als lästige Kinderkrankheit' einer neuen Technologie zu sehen, ist fahrlässig."

Unverbesserlicher Aufklärer

Bei all seinen hellsichtigen Zeitbefunden hält Manfred Jochum unverbrüchlich an seinen Idealen von Bildung und Journalismus, von Wissen und Dialog fest, sieht er sich doch selbst als unverbesserlichen Aufklärer, in dieser Hinsicht rettungslos altmodisch. Das gibt diesem Buch auch eine - naturgemäß vage - Perspektive. Dass uns indes der medienkritische Impetus von Jochums Überlegungen und Ausführungen vielfach anachronistisch anmutet, sagt mehr über die Zeit aus als über den Autor, diskreditiert eher die Umstände als deren Beschreiber.

Wie nebenbei kommt einem bei der Lektüre des Buches auch in den Sinn, dass Intellektuelle vom Format Jochums in leitenden Funktionen wohl immer schon rar waren, heute aber im mit großer Emphase reformierten ORF in Schlüsselpositionen nachgerade unvorstellbar sind... RM

Bis uns Hören und Sehen vergehen

Stolpersteine auf dem Weg zu einer neuen Medienwirklichkeit

Von Manfred Jochum, mit einem Vorwort von Konrad Paul Liessmann

Verlag Kremayr & Scheriau/Orac, Wien 2003

189 Seiten, geb., e 19,00

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