Groteske Ausweglosigkeit

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SONGS FROM THE SECOND FLOOR / Sanger Fran Andra Vaningen

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SONGS FROM THE SECOND FLOOR / Sanger Fran Andra Vaningen

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Eine assoziative Szenenfolge, nahezu alle mit der Standkamera gefilmt, die Bild- und Charakterkomposition angelehnt an die Gemälde der Neuen Sachlichkeit, vor allem an Otto Dix, von Bibelpsalmen inspirierte Textpassagen, die Opferung einer Jungfrau und der scheiternde Versuch zum zweitausendjährigen Jubiläum mit Christusstatuen ein Geschäft zu machen. Der Filmemacher Roy Andersson hat nach 25 Jahren, in denen er vor allem Werbespots drehte, wieder einen Langspielfilm gedreht. Ohne kommerzielle Kompromisse eingehen zu müssen, konnte er innerhalb von vier Jahren ein Werk grotesk-surrealer Hoffnungslosigkeit schaffen, welches den Vergleich mit den Filmen Aki Kaurismäkis aber auch Buñuels nicht zu scheuen braucht. Ab 16.

Sechsundvierzig Szenen, 46 Kameraeinstellungen, nur in zwei Fällen eine langsame Kamerafahrt. Der 58jährige schwedische Filmautor Roy Andersson, der unzählige Werbespots und vor über 25 Jahren auch zwei Langspielfilme gedreht hat, hat die technischen Möglichkeiten des Mediums nur sehr selektiv verwendet. Sein Zugang zum Film ist über die Malerei vermittelt - über eine statische, exakte Bildkomposition. So gab es auch kein festgelegtes Drehbuch oder Storyboard, sondern nur eine allmählich entstandene assoziativen Reihung der einzelnen Szenen, die teilweise auch ganz für sich alleine bestehen könnten. Inspirationsquelle waren vorwiegend die Werke der Neuen Sachlichkeit, Max Beckmann und vor allem Otto Dix, und es finden sich auf der Leinwand tatsächlich die bleichen Charaktere, die man bereits aus dem Museum kennt: feiste Bonzen, dicke Pfaffen oder der Militärkopf bevölkern die minutiös ausgearbeiteten Szenerien.

Dabei ist die Hauptfigur, wenn man denn von einer solchen sprechen kann, ein schlichter Möbelhändler, der versucht, sich mehr schlecht als recht durch das Leben zu schlagen, für einen Versicherungsbetrug in seinem Geschäft Feuer legt und zum zweitausendsten Geburtstag von Jesus vergeblich trachtet, mit Kruzifixen ein Geschäft zu machen. Nicht dass tatsächlich eine Geschichte erzählt würde, aber in Kalle treffen sich viele der durchwegs auch allegorisch zu verstehenden Einstellungen und Dialoge.

So kommt es zu Besuchen in der Psychiatrie, weil sein ältester Sohn Thomas ("Er schrieb Gedichte und wurde verrückt") dort interniert ist, und den General ("Ich fasse Zeit als eine Strecke auf und das Leben als einen Weg"), welcher auf seinen inzwischen hundertjährigen Vorgesetzten (der zum allgemeinen Entsetzen die Hand zum Hitlergruß reckt) eine Rede geschrieben hat, lernen wir im Taxi des jüngeren Sohnes kennen.

Die grotesk komischen, vielfach erniedrigende Situationen zeigenden Bilder verdichten sich zur Darstellung einer pessimistischen und hoffnungslosen Ausweglosigkeit. Es ging Kalle nur darum, den Tisch gedeckt zu haben und ein wenig Geld für Vergnügen ausgeben zu können, und doch ist er nun mit einer untilgbaren Schuld belastet, und die Toten, an denen er individuell und kollektiv schuldig geworden ist, verfolgen ihn bis in die letzte Szene. Transzendenz ist nur noch als schlechtes Gewissen vorhanden, Rettung ist keine in Sicht, und die unverkauften Kruzifixe landen auf der Müllkippe. Eine prägnante Darstellung der metaphysischen Befindlichkeit des religiösen Menschen ohne Glauben, die auf dem Niveau der Filme Buñuels anzusiedeln ist.

Schweden / Frankreich / Deutschland 2000 - Produktion: Roy Andersson Filmproduktion - Produzent: Lisa Alwert - Verleih: Polyfilm - Länge: 100 Min. - Regie: Roy Andersson - Buch: Roy Andersson - Kamera: Istvan Borbas - Schnitt: Roy Andersson - Musik: Benny Andersson - Darsteller: Lars Nordh, Stefan Larsson, Lucio Vucina, Hasse Söderholm

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