Ödipus heute

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KARAKTER / Karakter

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KARAKTER / Karakter

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In den Niederlanden der dreißiger Jahre wird ein junger Mann verdächtigt, seinen Vater ermordet zu haben; im Rahmen des Polizeiverhörs erzählt er die Geschichte seiner Beziehung zu seinem Vater, den er erst als Jugendlicher kennengelernt hat und der aus seiner Perspektive immer gegen ihn gearbeitet und ihm das Leben schwer gemacht hat. "Karakter" lebt von seinen präzise gezeichneten Figuren und starken Bildern; die Geschichte des schwierigen Vater-Sohn-Verhältnisses wird entsprechend konsequent und gespickt mit trockenem, hintergründigem Humor erzählt. Empfehlenswert ab 14.

Rotterdam, Ende der dreißiger Jahre: Der junge Anwalt Jacob Willem Katadreuffe wird blutverschmiert aufgegriffen und verdächtigt, den berüchtigten Gerichtsvollzieher Dreverhaven ermordet zu haben. Im Rahmen seines Verhörs erzählt er seine Lebensgeschichte: Seine spröde, schweigsame Mutter, dereinst Haushälterin bei Dreverhaven, der sie in der einzigen gemeinsamen Nacht geschwängert hat, zieht Jacob alleine groß und vermeidet jeden Kontakt zum Vater des Kindes.

Schon Jacobs erste Begegnung mit Dreverhaven wird zur bitteren Enttäuschung; fortan begleitet Jacob der Verdacht, dass sein Vater in jeder nur erdenklichen Weise gegen ihn arbeitet. Jacob erreicht eine Anstellung als Sekretär in einer Anwaltskanzlei, arbeitet sich hoch, holt seinen Schulabschluss nach, beginnt ein Jusstudium. In all der Zeit hat er Schulden bei einer Kreditanstalt seines Vaters, zunächst aus einem unglücklichen Zufall heraus, dann aber absichtlich. Das ständig drohende Konkursverfahren stachelt Katadreuffe an, er will es seinem Vater zeigen. Am Tag seiner Zulassung zum Anwalt taucht er bei Dreverhaven auf, wohl um seiner Genugtuung über das Erreichte Ausdruck zu verleihen. Die beiden Männer prallen aufeinander; später wird Dreverhaven tot aufgefunden.

Als der noch namenlose zornige junge Mann, dessen Zerrissenheit greifbar ist, zu Dreverhaven kracht, bedarf es keiner Erklärung: Das sind Vater und Sohn. Filmische Qualität dieser Art wird nicht leicht bemerkt, hier aber stellt sich in den darauf folgenden Bildern aufgrund der verschiedenen Namen und der Fragen des Polizisten nach Katadreuffes Beziehung zu dem Toten eine leichte Irritation ein, die die Kraft der Eingangssequenz erst deutlich macht. "Karakter" macht seinem Namen alle Ehre und lebt von den präzise gezeichneten Figuren, deren Aufeinanderprallen bis in die letzte Konsequenz durchgezogen wird. Wenn miteinander gesprochen wird, dann um die eigene Position klarzustellen; zwischen Vater, Mutter und Sohn passiert die wenige Kommunikation, die stattfindet, auf subtiler Ebene, angefangen von Nicht-Sprechen über handschriftliche Notizen aller Art bis hin zum Austragen von gerichtlichen Auseinandersetzungen. Dabei fleht Dreverhaven seinen Sohn förmlich an, ihn aus diesem interaktiven Vakuum zu erlösen, schleudert ihm mit den Worten "Tu mir was!" ein Messer entgegen.

Die Figuren zeigt van Diem in unspektakulären aber starken Bildern, die nicht immer eine klare Grenze ziehen lassen zwischen dem, was wirklich geschehen ist und dem, was sich einzelne Figuren vorstellen. Nur an wenigen Stellen blitzt durch, dass Jacobs Perspektive möglicherweise nicht die ganze Wahrheit über seinen Vater eröffnet.

Gute schauspielerische Leistungen tragen ihr Übriges zu diesem feinen, mit hintergründigem, trockenem Humor gespickten Film bei, der nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Preise die Aufmerksamkeit auf einen international eher weniger bekannten niederländischen (Film-)Stil richtet und auch zukünftig auf Produktionen dieser Art hoffen lässt.

NL 1997 - Produktion: First Floor Features - Produzent: Laurens Geels - Verleih: Filmladen - Länge: 119 Min. - Regie: Mike van Diem - Buch: Mike van Diem / Laurens Geels / Ruud van Meggen, nach der Erzählung "Dreverhaven en Katadreuffe" und dem Roman "Karakter" von Ferdinand Bordewijk - Kamera: Rogier Stoffers - Schnitt: Jessika de Koning - Musik: Het Paleis van Boem - Darsteller: Fedja van Huêt, Jan Decleir, Betty Schuurman, Victor Löw, Hans Kesting, Tamar van den Dop

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