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Ken Loach gelingt in "Just a Kiss" ein Meisterwerk berührender Kulturbeobachtung, wenn in Schottland Südasien und Irland aufeinander treffen.

Romeo und Julia ist als Filmstoff ebensowenig umzubringen wie - seit 400 Jahren - als dramatisches Leitmotiv. Zuletzt hatte sich Hollywood 1995 in Baz Luhrmanns ambitionierter, wenn auch nicht unumstrittener direkter Umsetzung des Shakespeare-Stoffes im Stil der MTVGeneration (samt von Leonardo DiCaprio hinreißend gespielter Hauptrolle) ans WeltliteraturDrama herangemacht. Aber auch in Zeiten von Multikulti, die oft alles andere als lustig sind, hält die Renaissance-Tragödie als Motiv, wenn auch nicht als direkt als Vorlage her.

Jetzt nimmt sich der britische Meisterregisseur Ken Loach dieses Motivs an, nennt es "Just a Kiss" (eigentlich "Ae Fond Kiss", nach einem Gedichttitel des schottischen Nationaldichters Robert Burns) und verpflanzt es ins Glasgow anno 2004: Hier verguckt sich der smarte DJ Casim aus geachteter, aber kleinbürgerlicher Pakistani-Familie, in Roisin, die irisch-katholische Musiklehrerin seiner Schwester, so sehr, dass große Liebe und noch größerer Schmerz entsteht.

Verfeindet sind in "Just a Kiss" nicht zwei rückwärtsgerichtete Adelsfamilien in Verona, sondern zwei nicht minder vergangenheitsverliebte Minderheiten-Milieus in der schottischen Metropole: Die Verheiratungs-Philosophien unter den Pakistanis sollen im Norden eins-zu-eins wie in der südasiatischen Heimat gelten - das heißt, Eltern suchen die Partner für die Sprösslinge aus, welche die Braut/ den Bräutigam bei der Verlobung oft erstmals zu Gesicht bekommen. Kein Wunder, dass Casim sich dagegen aufzulehnen sucht.

Nicht minder anachronistisch das in Schottland ebenfalls klein(kariert)e katholische Milieu, dessen rigide Moralvorstellungen Roisin, die zwar verheiratet ist, aber von ihrem Mann längst getrennt lebt, nicht in den Kopf wollen: Hier geht es nicht um Zwangsheirat, sondern darum, dass Roisin als verheiratete Frau nicht mit einem anderen Mann zusammenleben kann, will sie weiter Musiklehrerin an der katholischen Schule bleiben, an der sie unterrichtet.

Gott sei Dank ist die Liebe - wie eh und je - ein stärkeres Argument als Familienehre und gesellschaftliche Konvention, aber Gott sei Dank muss heutzutage eine komplizierte Liebschaft auch nicht unbedingt mehr mit Gift und Dolch enden. Und Gott sei Dank kann ein Regisseur wie Ken Loach das alte Motiv und die modernen Wirrnisse kultureller Grenzen und Turbulenzen in ein und derselben Gesellschaft ganz nuanciert ins Bild rücken und die Zerrissenheit der Hauptfiguren (berührend gespielt von Atta Yaqub und Eva Birthistle) nachvollziehbar zur Geltung bringen.

Casim ist gleichzeitig ein Kind des 21. Jahrhunderts und dennoch in den durchaus ehrbaren Werten seiner Familie verstrickt: Wie soll er seinem Vater, der aus der indischen Heimat vertrieben wurde, und der den alltäglichen Rassismus in Großbritannien immer wieder auch physisch erfahren musste, klar machen, dass er ihn persönlich achtet, aber dass er der Gefangenheit seiner entwurzelten Familie, die ins Exil althergebrachte Sicherheit retten will, doch entrinnen will und muss.

Und für Roisin, die naturgemäß nicht ganz so intensiv dem zivilisatorischen Clash ausgesetzt ist, gilt, dass sie sich fragen muss, ob sie den kulturellen Spannungen, in die sich durch eine Beziehung mit Casim begibt, gewachsen ist.

Es zahlt sich aus, herauszufinden, wie die beiden - und Ken Loach - die Sache zu Ende bringen.

JUST A KISS - Ae Fond Kiss

GB/B/D/E 2004. Regie: Ken Loach. Mit Atta Yaqub, Eva Birthistle. Verleih. Polyfilm. 103 Min.

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