Die Reise nach Çufut Qale

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In Bachtschyssaraj, der alten Hauptstadt der Krimtataren, in der und um die herum die meisten Tataren wohnen, die Anfang der 90er-Jahre aus der zentralasiatischen Verbannung zurückgekehrt sind, kann man ein Auto für die Reise nach Çufut Qale mieten. Ein Mann mit gigantischem Sonnenhut vermittelt Autos, sammelt Geld, organisiert Abendessen (alles selbstverständlich schwarz) und ist überhaupt sehr geschäftstüchtig. Ein junger Fahrer kommt, fast noch ein Kind, und nimmt uns mit auf die Reise. Eine sehr mühsame Angelegenheit, mit einem alten sowjetischen Militärauto ohne Seitengläser zu fahren. Die Bergstraße ähnelt eher einem Haufen großer und kleiner Steine als einer Straße. Ich springe auf dem Vordersitz auf und ab und versuche, nicht herauszufliegen. Der Fahrer ist genial -er fährt ab und an auf zwei Rädern (die anderen zwei hängen über dem Abgrund) und erklärt auch, was darunter so liegt -Städte, Seen, astronomische Anlagen der Bergkrim. Nach 30 Minuten des Springens und Fliegens sind wir vor der Tür der Bergfestung Çufut Qale.

Çufut Qale, Die Jüdische Burg, nannten die Krimtataren diese Bergstadt. Nach der Trennung des Krimkhanats von der Goldenen Horde (15. Jahrhundert) wurde die Bergspitze Hauptstadt. Später gingen die Khans nach unten und bauten Bachtschyssaraj, wo es sich bequemer leben ließ. Die Karäer blieben oben und erledigten für die Tataren handwerkliche Arbeiten. Sie waren so gut wie das einzige Volk auf der Halbinsel, das keine Probleme mit den Tataren hatte. Die Burg nannten sie selbst Dschufut Kale, die Doppelburg.

Eine alte Lüge rettete sie

Die Karäer sind eine im 8. Jahrhundert in Mesopotamien entstandene jüdische Sekte, die nur die Bibel als Gesetz betrachtet, ohne Talmud und "mündliche Tora". Das hatte mit den Konflikten zwischen den Juden zu tun -nicht alle wollten von den Weisen, den Talmudgelehrten, regiert werden. Die Krimkaräer sind mit 2500 Personen (zerstreut in alle Welt) nur ein Zehntel aller Karäer. Die meisten lebten in Kleinasien, jetzt sind viele nach Israel ausgewandert, denn obwohl die Karäer sich ab und an als Nichtjuden bezeichnen, die Juden halten sie für Juden. Entsprechend dürfen sie nach Israel zurückkehren.

Wir sind oben. Der Fahrer wartet vor dem Festungstor, wir gehen hinein. Den Plan der alten Stadt (Straßenzüge, Hausfundamente ) kann man mit eigenen Füßen lesen. Zwei Kenassen (Karäer-Synagogen, das Wort ist mit dem hebräischen Wort Knesset, Versammlung, verwandt). Das einzige heil gebliebene Haus ist jenes des Gelehrten Avraam Firkowitsch (1787-1874), der alles daran setzte (auch Manuskriptfälschungen), um zu beweisen, dass die Karäer Nicht-Juden seien. Also konnten sie, als Nicht-Juden, überall in Russland leben, und das war das Ende von Çufut Qale. Die Karäer gingen hinunter und siedelten sich überall auf der Krim und weiter in Russland an. Diese alte Lüge rettete sie vor den Nazis, die Karäer wurden nicht vernichtet wie andere Juden der Krim.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist Çufut Qale leer. Die Reise ist beschwerlich, aber sie lohnt sich.

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