Theoretiker der Moderne

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chen" sein, die der Entfremdung des Individuums in der objektiven Welt des Kapitalismus ein kreatives Element entgegenstellte. Eine wichtige Rolle spielte bei diesen geselligen Unterhaltungen der Takt. "Darum ist in der Gesellschaft der Takt von besonderer Bedeutung", notierte Simmel, "weil dieser die Selbstregulierung des Individuums in seinem persönlichen Verhältnis zu anderen leitet, wo keine äußeren oder unmittelbar egoistischen Interessen die Regulative übernehmen".

Die Gespräche in Simmels Salon wurden von klar definierten Verhaltensregeln bestimmt, die jeweils auf die eingeladenen Gäste abgestimmt waren, wie das Beispiel des Dichters Stefan George zeigt, der sich durch eine hochgradig entwickelte Verletzbarkeit auszeichnete. In seiner Gesellschaft durfte man bestimmte Themen nicht ansprechen, wollte man nicht riskieren, dass er aufstand und ging. Das hatte Simmel respektiert, weil ihm das Gespräch und die Auseinandersetzung mit George wichtig war.

Das Leben als Instanz

In seinem Spätwerk wandte sich Simmel der Lebensphilosophie zu, wobei er sich auf Friedrich Nietzsche und den französischen Philosophen Henri Bergson bezog. Für Simmel war die Fixierung auf den wissenschaftlichen Rationalismus, wie er zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte, eine Fehlentwicklung der Philosophie. In seinen philosophischen Werken berief er sich auf den gesamten schöpferischen Prozess des Lebens, der durch den Verstand nicht fassbar sei; er könne wegen seiner starren Begrifflichkeit keineswegs das Dynamische des Lebens, das sich ständig im Fluss befindet, erfassen. "Jeder Augenblick des Lebens ist das ganze Leben", schrieb Simmel, "dessen stetiger Fluss seine Wirklichkeit nur an der Wellenhöhe hat, zu der er sich jeweilig hebt; jeder jetzige Moment ist durch den ganzen vorherigen Lebenslauf bestimmt". Der Mensch habe nun die Aufgabe, sich aus dieser Erstarrung zu befreien, um in den schöpferischen Prozess des Lebens einzutauchen.

Mit dieser Hinwendung zum menschlichen Leben als zentraler Instanz philosophischer Reflexion machte sich Simmel zahlreiche Feinde in der akademischen Philosophie. Dazu kam noch seine Destruktion traditioneller Denkströmungen, die der Schriftsteller Paul Ernst auf den Punkt bringt: "Seine Philosophie war bestrebt, das Weltbild in Beziehungen aufzulösen, und das ganze Sein zu verstehen als eine schwebende Kugel von Kräften, welche sich gegenseitig leicht und sicher tragen."

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