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Viel Engagement und viel Kikeriki

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Wer die Interviews gelesen hat, die das Erscheinen von Johannes Mario Simmeis jüngstem Roman begleiteten, weiß, was ihn erwartet, wenn er das Buch aufschlägt und den ersten Satz liest: „Verflucht, dachte der alte Mann, jetzt hätte ich mich doch um ein Haar erschossen, ohne die Hotelrechnung bezahlt zu haben." Immerhin ein Satz, der es dem Leser schwer macht, den nächsten nicht zu lesen. Er weiß, daß der ausgebrannte, alte Autor mit der Existenz eines schwerkranken bosnischen Enkelsohnes konfrontiert werden wird, der durch Scharfschützen zur Vollwaise geworden ist. Er weiß, daß auf den über 600 Seiten viel von kranken Kindern die Rede sein wird, von krebs-kranken Kindern, Kindern mit trans-plantierten Organen. Simmel hat nicht nur recherchiert, wie er es so oft tut, er hat fast zwei Jahre lang viel Zeit im Wiener St.-Anna-Kinderspital zugebracht und sich dem, worüber er schrieb, ausgesetzt.

Der 1 eser weiß, daß Simmel in diesem Büch die Handlung seines ersten Bomans („Mich wundert, daß ich so fröhlich bin") wieder aufnimmt, die (reschich'te des jungen Deserteurs und der anderen in dem Keller auf dem Neuen Markt nach einem Bombentreffer Verschütteten weitererzählt, daß in diesem Buch der alte Simmel in einen Dialog mit dem jungen Simmel eintritt und eine Art Selbstgespräch in Romanform führt. Er weiß, daß in diesem Buch besonders viel Autobiographisches verarbeitet ist.

An den so ungemein vielversprechenden Erstling reicht auch der neue Simmel nicht heran. Jedenfalls nicht ganz. Wohl aber zieht er die Summe eines Iebens, faßt zusammen, worum es Simmel, nicht immer dem Autor, aber wohl immer dem Menschen Simmel, gegangen ist. Unter dieser Bilanz steht eine dicke schwarze Zahl, und zwar keineswegs nur im Sinne des gewaltigen finanziellen Erfolgs. Dieser österreichische Autor hat mit einer Gesamtauflage von bisher 72 Millionen Exemplaren kaum weniger für die Verbreitung humaner Überzeugungen und demokratischer Gesinnung bewirkt als alle offiziellen Bemühungen in dieser Richtung. Eher vielleicht mehr. Wer es schafft, politisches Engagement, im Falle Simmel: für gewissenhaftes 1 landein und gegen alle Überbleibsel des Nazitums, in Millionen Exemplaren unter die Leute zu bringen, wer so viel gelesen wird, der hat die Menschen auch beeinflußt. Man hat Simmel den erhobenen Zeigefinger vorgeworfen. Aber gerade der kommt bekanntlich beim großen Publikum nicht an. Simmel kam aber an. Vielleicht war er also doch gescheiter als viele seiner Kritiker.

„Träum den unmöglichen Traum" ist ein sehr aktuelles Buch. Die Handlung, die einen Autor, der nicht mehr schreiben kann, nach Wien bringt, die Geschichte mit dem leberkranken Fankel, von dem er nichts wußte, wäre pure Kolportage - würde Simmel nicht die Taten der Unmenschen im ehemaligen Jugoslawien, auf die es sich von erhabener Position so leicht herabblickt, mit jener Unmenschlichkeit konfrontieren, die bei uns so effizient unter den Teppich gekehrt wurde und jetzt rundum unter dessen Rändern hervorquillt und hervorkriecht. Das Buch kann auch als das bohrende, insistierende Selbstgespräch eines alten Mannes gelesen werden, der gerne davon überzeugt werden möchte, daß das Eintreten für Frieden und 1 lumanität einen Sinn hatte, dem es aber die Realität höllisch schwer macht, dies wirklich zu glauben. Er bleibt ein Schwankender - bis zum schrecklich konsequenten Filde. In den Jahren, in denen Simmel an diesem Buch schrieb, hat die Realität seine Story eingeholt. Den alten und neuen Nazis die Bereitschaft zum Mord an einem Schriftsteller, der zuviel über sie weiß, zu unterstellen, ist wohl alles andere als abwegig. Immerhin hatdieses Lagereinen harten Kern, der Briefbomben verschickt und Roma tötet, und eine große weiche Masse rundherum, die sich gegenüber dem Mord an den Roma genauso verhält wie die Masse der Nazimitläufer gegenüber dem Mord an den Juden: I lauptsache, sie sind weg, die Juden -und sie selber haben nichts damit zu tun. Mit dem Unterschied, daß sie sich damals darauf ausreden konnten, wie gefährlich es war, den Mund aufzumachen.

Simmeis neues Buch ist aber auch im Positiven überaus aktuell. In diesem Roman bringen nämlich den verbitterten alten Mann mit dem ein Leben lang gehegten, verkapselten Haß auf das Nazi-Wien das leben und die vor Jahrzehnten verlassene bosnische Freundin zur Einsicht, daß die Mehrheit der jungen Menschen ganz anders ' ist, auch hier. Daß die Menschen, die diese Rezeichnung verdienen, keineswegs in der Minderheit sind.

All diese bohrenden Fragen, alle halben Antworten, die falsche Antworten wären, würden sie aufhören, halbe zu sein, sind in ein kompliziertes Reziehungs- und Handlungsgeflecht mit frappierenden Ungleichzeitigkei-ten verwoben, so daß sich der bestimmter Fakten kundige Leser fragt, ob dem notorischen Rechercheur Simmel Ungenauigkeiten unterliefen oder ob er etwa raffinierte Spuren für wissende Freunde legen wollte, wenn er etwa die vor vier Jahrzehnten eingestellte Wiener Tageszeitung „Weltpresse" - anno 1994! - die Ankunft des Autors in Wien melden läßt.

Auch in diesem Ruch schreit der Liebling der Frauen, und der reiche Mann, ein bißchen zu oft kikeriki. Es gibt auch in diesem Simmel Trivialsätze, bei denen ich am liebsten ausgestiegen wäre, aber die werden im Fortgang der Handlung seltener. Auch wenn „Mich wundert ..." vorerst das Ruch bleiben wird, mit dem der Schriftsteller Simmel seine Zeit überleben wird, weil es soviel von der Zeit einfängt, die ihn prägte - unverkennbar ist, daß Johannes Mario Simmel bei genau dem Punkt wieder anknüpft, wo er aufhörte, es sich ganz schwer zu machen, auch wenn er es sich später vielleicht gar nicht so oft wie gedacht ganz und gar leicht gemacht hat. Es wäre schön, noch einmal ein Buch von ihm zu lesen, dem man prophezeien kann, es werde ihn überleben. Es dürfte höchstens halb so dick sein, lieber noch viel dünner, es müßte alles allzu Glatte, allzu Leichte raus. Gerade vom alten Simmel (Aber ist er wirklich so alt? Kokettiert er nicht ein bißchen mit seinem Alter?) könnte jenes literarisch unverkrampfte, aber sprachlich dichte Buch kommen, welches das Lebensgefühl jener einfängt, die sich derzeit auf der Verliererseite sehen, an die Wand gedrückt fühlen, den Bach hinuntergehen sehen, wofür sie stets eingetreten sind. Denn er hat schließlich die Aufbruchsstimmung, das Glücks- und Befreiungsgefühl der unmittelbaren Nachkriegszeit noch erlebt. Was hält ihn eigentlich davon ab?

TRAÜM DEN UNMÖGLICHEN TRAUM

Roman von Johannes Mario SimmeL Verlag Uroemer Knaur; München 1996. 600Seiten, geh., öS.) 5),-

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