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Verzerrte Rituale

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„Der stumme Büßer Boleslaw”, eine knapp zweistündige, pausenlose Oper für Sprecher, drei Sänger und kleines Instrumentalensemble wurde für eine Freilichtaufführung des Carinthi-schen Sommers geschrieben und nun in einem originellen Bewegungs- und Ausstattungstheater im Wiener Odeon umgesetzt. Boleslaw ist jene historische Figur, die vor 900 Jahren nach einem Mord am Bischof von Krakau in das verschneite Ossiach kam. Dieter Kaufmann, der Komponist der Opern-Messe, und sein Librettist, Roman Brand-staetter, jedoch vertrauten dieser Kunstform nicht ganz und bauten einen Prolog, drei Szenen und einen Epilog um die zentrale „Missa povera”.

Die Oper kreist ums Schweigen, das reuige Schweigen des Büßers, das produktive des Philosophen Ludwig Wittgenstein, das Schweigen des Präsidentschaftskandidaten Waldheim und des Erzbischofs Groer. Meßparodie, Verzerrung und Umkehrung der Rituale wechseln einander ab, einmal wird plakativ in moralisierenden Zeitungsschlagzeilen angeklagt, dann wieder findet die Oper in Form einer Tosca-Prozession karikiert.

Die Inszenierung Leonard Prins-loos versucht mit Bildern, Arnulf Rainer und Hermann Nitsch nachempfunden, der statischen, Musik zu entsprechen. Das Ensemble der Wiener Taschenoper unter Dirigent Peter Bergamin nähert sich dem Werk ohne den erkennbaren Wunsch, interpreta-torisch einzugreifen.

Adrian Eröd - schönsingend ans Kreuz genagelt, Christine Wagner -lasziv mehr im Kostüm als in der Stimme, Gunda König - das (übliche) Gewissen im Narrengewand, sind abgehoben gekleidet, der Bewegungschor des Schauspielstudios Vox und das Vokalensemble sind unbekleidet eingesetzt. Sollte die drastisch-körperliche Darstellung Dramatik oder Provokation signalisieren? Kirchenkritik, Moralpredigt, Mysterientheater oder Vision?

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