Gute Werke, schlechte Laune

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Es gibt eine Form gastronomischer Berufsauffassung, die mehr oder weniger offen dem Ziel drastischer Gästezahlenreduktion, wenn nicht überhaupt totaler Gastberührungsvermeidung huldigt. Die Gaststätten der DDR beispielsweise waren dafür berühmt, man betrat das Lokal bereits im Bewusstsein, sich einer Anmaßung schuldig zu machen. Auch manch heimischer Wirt beherrscht diese kommunistische Kulturtechnik, und die bekanntermaßen grantigen Wiener Kaffeehausober missverstehen ihre Verhaltensauffälligkeit als Tribut an den Ruf einer ehrwürdigen Tradition.

Das Café Restaurant Michl's im ersten Bezirk war da immer anders: sehr freundliche, sehr bemühte Kellnerinnen und Kellner, sehr angenehme Atmosphäre. Das Michl's ist Teil eines unter der Schirmherrschaft des scheidenden Wiener Bürgermeisters stehenden Sozialprojekts, das, ähnlich wie das Inigo nahe der Jesuitenkirche, die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt zum Ziel hat. Als ich das Michl's unlängst mit einer Freundin um halb vier betrat, wurde uns vom Kellner in deutlich apotropäischer Absicht mitgeteilt, das Lokal schließe um vier. Wir gaben an, nur einen Kaffee trinken zu wollen, er beharrte: Zugesperrt werde um Punkt vier, sie alle seien dann weg. Da wir an unserem Begehr festhielten, wurden wir sozusagen zähneknirschend bedient, der Kellner bekam aber den Mund noch einmal auf, um mit Hinweis auf die Sperrstunde die Rechnung zu präsentieren. Dabei veranschaulichte er lautmalerisch ein Geräusch gleichsam endgültigen Zusperrens. Vielleicht hat die schlechte Stimmung im gutgemeinten Unternehmen mit Michl Häupls Abgang zu tun. Als ich meiner perplexen Freundin (sie lebt im Land des Lächelns: in New York) die Mission des Lokals erklärte, nämlich dass hier Langzeitarbeitslose beschäftigt würden, fiel der böse Satz: "Kein Wunder."

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