Liddells Lustknaben - Angélica Liddells freizügiges Körpertheater über Eros und Thanatos bleibt letztendlich an der Oberfläche. - © Bruno Simao

Liddells Lustknaben

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Kurzkritik Festwochen

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A wie „Art“, A wie Antonin Artaud („Theater der Grausamkeit“), A wie Angélica Liddell: Auf vielfache Weise lässt sich das geheimnisvolle und titelgebende A aus Nathaniel Hawthornes Roman „Der scharlachrote Buchstabe“ („The Scarlet Letter“, 1850) deuten, das der Ehebrecherin Hester Prynne von der puritanischen Gemeinschaft als Zeichen der Schande auf die Kleidung gestickt wird. Es könnte aber auch das A von Adam bedeuten, der mit Eva auftritt und sich nackt zum Grabstein von ­Hawthorne begibt.
Durch den amerikanischen Autor inspiriert, gestaltet die spanische Performance-Künstlerin Angélica Liddell ihre 2018 uraufgeführte Produktion über Kunst und Moral als freizügiges Körpertheater. Liddell gilt als international renommierte Performerin, die in ihren Arbeiten die verschiedenen Kunstsparten miteinander zu verbinden weiß. Auch in „Der scharlachrote Buchstabe“ sind Literatur, bildende Kunst, Musik und Tanz engstens verwoben. Foucaults, Derridas und Barthes’ Thesen über die Liebe unterfüttern intellektuell die bildstarke Performance.
Angélica Liddell kniet hingebungsvoll vor den acht nackten Akteuren, die ihr – einer nach dem anderen – ihren Penis als „edle Himmelsgabe“ anbieten. Dann wieder schmachtet sie vor dem Bild von Caravaggios „Amor als Sieger“, streichelt sehnsüchtig die abgebildeten weißen Schenkel des nackten Knaben, um später voller Leidenschaft und Ekstase einen schwarzen Performer zu verführen. Die in einer patriarchalen Gesellschaft ausgebeutete Frau kolonialisiert nun den schwarzen Mann. Der gesamte Abend dreht sich frei assoziativ um das Thema ­sexuelles Begehren, den Ursprung allen Lebens und Tuns.

Liddells Kunst richtet sich gegen eine ­prüde Gesellschaft, Hawthornes Roman verwendet sie als passende Referenz, um Heuchelei zu entlarven. Unter den Kutten sind die christlichen Würdenträger nackt, voller Lüsternheit ­heben sie die Kleidung und begeben sich in Positionen, die ihr maskulines Selbstverständnis zur Schau stellen. So auch Reverend Arthur, mit dem Hester ihre illegitime Tochter hat. Arthur versucht sein Begehren zu verbergen, er geißelt sich bis zuletzt, ein masochistischer Akt der Lust, wie sein heftiges Stöhnen deutlich macht.

Liddells Projekt über Eros und Thanatos bleibt bei der Vielzahl an Referenzen letztendlich an der Oberfläche und versackt in einer bombastischen Bilderflut. Auch erscheint ihre Schlussfolgerung wagemutig: die Freiheit der Kunst setzt eine freie Sexualität voraus. Auf die #MeToo-Debatte reagiert sie mit einer misogynen Rede, ihre acht Lustknaben, die Spalier stehen, begrüßt sie mit einem „Penis-Shake“.
Die als Höhepunkt der Wiener Festwochen 2019 angekündigte Performance zeigt sich als hohle Bilderflut voll von pseudo-provokanten Zurechtweisungen. Die Liddell-Fans jubelten.

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