Die Wahrheit, meint Montaigne, habe ein Gesicht, die Lüge aber tausend Gesichter und verfüge über unbegrenzte Spielräume. Von der Richtigkeit dieser Sentenz kann sich das Publikum zur Zeit in Salzburgs Theatern überzeugen: Gelogen wird am Landestheater in der Operette "Wiener Blut" von Johann Strauß Sohn und im Schauspielhaus in dem Florian-Zeller-Stück "Die Wahrheit".
Die "andere" Seele der Wiener
Dass die Operette und die darin von Adolf Müller eingearbeiteten Walzer "Wiener Blut","An der schönen blauen Donau","Wein, Weib und Gesang" und Polkas ein Magnet sind, weiß man. Regisseur Marco Dott ging noch ein Stück weiter und holte sozusagen die "andere" Seele der Wiener, die der Nachtschattengewächse, auf die Bühne. Diese Seele präsentieren am Vorstadt-Würstlstand der Karussellbesitzer Kagler, Sascha Oskar Weis, und der Fiakerkutscher, Michael Schober, mit Gerhard Bronners Song "A Krügerl, a Glaserl, a Stamperl, a Tröpferl".
Damit man den "Rest" der Operette nicht vergisst und das darin gesponnene Lügennetz: Den Grafen Zedlau, den Schwerenöter, singt souverän Franz Supper, Zedlaus umtriebigen Assistenten Josef Alexander Hüttner und den Premierminister, Fürst Ypsheim Gindelbach und Zedlaus Chef, Axel Meinhardt. Die brillanten Damen Ilia Staple (die Tänzerin Franziska Cagliari), Anne-Fleur Werner (Gräfin Gabriele) und Tamara Ivanis (Pepi Pleininger) komplettieren diese auch vom Mozarteum-Orchester unter Robin Davis her geglückte Wiener Operette.
"Die Wahrheit" von Florian Zeller drängt barockisierend mit Lüge und Verstellung auf die Bühne des Schauspielhauses. Diese Maske kann jeder tragen, die Aufführung macht es spannend: Hat er, sie, jetzt gelogen? Hat sie, er womöglich mit der Wahrheit Unwahrheit in die Welt gesetzt, weil die Wahrheit als Lüge verstanden wird?
Olaf Salzer als Michel, Susanne Wende als Laurence, Christiane Warnecke als Alice und Bülent Özdil als Paul sorgen für Unterhaltung mit Wahrheit versus Lüge. Ein ernstes Thema für einen Untersuchungsausschuss.
(Franz Mayrhofer)
