"Von Krieg zu Krieg": Gegen die Vereinfacher

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Als 20-Jähriger kämpfte Edgar Morin im Zweiten Weltkrieg auf der „richtigen Seite“. Als 101-Jähriger wird ihm „seit der Invasion der Ukraine“, die für ihn das Potenzial zum Weltkrieg hat, immer mehr „die Barbarei der Bombenangriffe bewusst, die im Namen der Zivilisation gegen die Nazi-Barbarei durchgeführt wurden“. Mit diesem Vergleich eröffnet der französische „Philosoph der Komplexität“ seine Warnschrift „Von Krieg zu Krieg“. Wobei es Morin nicht um gegenseitige Aufrechnung von Schuld geht. Als er im Februar 1945 als Soldat in die von britischen Bombergeschwadern zerstörte deutsche Kleinstadt Pforzheim kam, die Verheerung sah, die zivilen Todesopfer, verdrängte er sein Entsetzen und sagte sich: „So ist der Krieg eben.“ Ein langes Leben als Zeitzeuge und Hinterfrager später weiß Morin: Aufgrund der allen Kriegen eigenen sich aufschaukelnden, verwirbelnden Kaskade aus Kriegshysterie, Kriegslügen und der Kriminalisierung des feindlichen Volkes trägt jeder Krieg „eine Kriminalität in sich, die über das rein militärische Handeln hinausgeht“.

An den Beispielen Algerien- und Jugoslawienkrieg sowie am israelisch-palästinensischen Konflikt veranschaulicht Morin die kriegsinhärente Spirale der Radikalisierung und folgert: „Der Krieg in der Ukraine entgeht nicht der Logik eines jeden Kriegs, der zwischen entschlossenen und erbitterten Gegnern geführt wird.“ Einen Ausweg findet Morin in seinem philosophischen Leitgedanken: „Das Denken, welches vereinfacht, ist zur Barbarei der Wissenschaft geworden“, ist ein Schlüsselsatz in Morins lebenslangem Plädoyer für komplexes Denken. Daran anknüpfend führt für ihn eine Politik, die vereinfacht, die sich weigert, „auch das Komplexe – den historischen und geopolitischen Kontext“ des Kriegs in der Ukraine zu begreifen, in die Barbarei. Um diese zu verhindern, formuliert Morin am Ende seines „Die Waffen nieder“-Manifests konkrete Friedensbedingungen für eine diplomatische Lösung. Man muss nicht alle gutheißen, fair finden, aber im grassierenden Schwarz-Weiß-Fatalismus wagt der 101-Jährige, der aus der Kriegslogik ausstieg, ein notwendig bunteres Friedensdenken, das dem Kriegsrad in die Speichen greift.

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