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Eros des Unmöglichen

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Die geheimen Reserven der Kultur in Rußland scheinen unerschöpflich zu sein. Noch manche Entdeckung, die neue Aspekte der Geschichte öffnet, ist zu erwarten. Vor kurzem erschien in deutscher Übersetzung ein geradezu sensationelles Ruch von Alexander Etkind (einem Neffen des berühmten zwangsemigrierten Dissidenten Jefim Etkind), der als wissenschaftlicher Schriftsteller in St. Petersburg lebt: Unter dem Titel „Eros des Unmöglichen” (Kiepenheuer, Leipzig) schildert er die enorme Wirkung der Freudschen Psychoanalyse in Rußland.

Sie beginnt bereits im Zarenreich, erfährt dann aber im jungen kommunistischen Staat eine ganz unerwartbare Förderung. Leo Trotzki, der sieben Jahre in Wien lebte, lernte hier auch Freud, Alfred Adler und die neue Lehre der Psychoanalyse kennen, das war freilich für einen Intellektuellen in dieser Stadt kaum vermeidbar. Von weittragender Folge war jedoch Trotzkis Idee, den Marxismus durch die Psychoanalyse zu ergänzen, also der Lehre von der neuen Gesellschaft ein psychologisches Instrument zur Kreation des „neuen Menschen” hinzuzufügen. Marx sei für die neuen sozialen Strukturen, Freud aber für die psychologische Umformung und Kondition der Menschen, die darin leben und ihr Glück finden sollen, zuständig - das war Leo Trotzkis kühner Einfall. Nun, der spätere Gründer der „Roten Armee” war durchaus der Mann, der eine solche Entwicklung nach der russischen Revolution in Gang setzen konnte.

Die „Psychoanalytische Vereinigung” Rußlands wurde die erste außerhalb der deutschsprachigen Grenzen. Durch seine Mittelsmänner Adolf Joffe und Max Eitingon (der engste Verbindungen zu Trotzki, Lenin und den Geheimdienst hatte) wurde der Psychoanalytische Verlag in der Rerggasse massiv finanziell unterstützt. Joffe und Eitingon gingen in Freuds Wohnung ein und aus, sie waren seine schülerähnlichen Freunde. Die russische Psychoanalytische Vereinigung und ihr Kindergarten befanden sich in der Rabuschinski Villa, einem Lieblingsaufenthalt Stalins, dessen Sohn in diesem Kindergarten heranwuchs. Natürlich scheiterte dieses Projekt -Freud stellte sich offen gegen den Kommunismus, und Trotzki wurde exiliert, später ermordet. Alexander Etkind öffnete durch seine Forschung in Rußland eine neue, sehr überraschende Perspektive.

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