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Abgründe und Platitüden

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Abgründe der iberischen Seele? FS 2 führte sie uns mit Sauras Filmwerk „Jardin de las delicias — Garten der Lüste“ vor Augen, wobei ..Lüste“ insoferne eine tölpelhafte Übersetzung ist, als nur das Wort „delicias“ eine ironische Betonung zuläßt.

„El jardin de las delicias“ dieses ungeheuerliche Bild des Hieronymus Bosch, die erste Massenszene der Kunstgeschichte, heute im Escorial, von Philipp II. zu seiner Zeit bereits als Antiquität eingekauft, erzählt das Entsetzen, das einen prophetischen Künstler, einen noch mittelalterlichen Menschen, vor der heraufdämmernden neuzeitlichen Gottentfremdung befiel, vor ihren komfortablen Höllen, ihrer spannungslosen, immer mehr sich verflachenden Diessei-tigkeit und ihren Lastern, die nicht mehr in Leidenschaften explodieren, sondern routiniert, in einem wiederkehrenden Ritus von fast traumverlorener Beiläu-figkeit absolviert werden. Die Menschheit, zu einem einzigen, unterschiedslosen Kollektiv verschmolzen, sündigt andeutungsweise und pausenlos mit der Unpersönlichkeit und Distan-ziertheit, aber auch mit der Perfektion eines einstudierten Balletts.

Das Wissen um die komfortable Seelenlosigkeit moderner Höllen dürfte für Saura die Verbindung zwischen dem Bild des Hieronymus Bosch, der eigentlich van Aken hieß und in s'Hertogen-bosch wohnte, und seinem Film hergestellt haben, in dem ein Autounfall und seine Folgen die pathologischen Hintergründe einer Erfolgsfamilie aufdeckt, die es dank dem spanischen Wirtschaftswunder binnen, einet Generation von Hilfsarbeitern zu Industriemagnaten gebracht hat. Äußerlich mag es dabei um das Losungswort für ein Schweizer Bankkonto und um die Zifjern-folge eines Tresorschlosses gehen; hintergründig ist es jedenfalls jener sinnentleerte Reigen bequemer Gottferne wie ihn Meister Hieronymus vorausgesehen hat; sehr symbolgeladen, sehr distanziert.

In Spanien durfte Sauras Werk nicht aufgeführt werden. Das heißt: Entweder hat man uns in FS 2 nicht den ganzen Film gezeigt oder die spanische Zensur ist schwachsinnig. (Schwachsinn gehört allerdings zum großen Befähigungsnachweis nicht nur aller autoritären Zensurbeamten, sondern auch der berufsmäßigen Nachschnüffler und Telephonabhorcher in den Demokratien.)

Den Abgründen folgten die Platitüden auf dem Fuße: Ein Druck auf den Schalter brachte uns aus dem „Garten der Lüste“ zur Konfrontation mit Juan Perön, seinen jugendlich gefärbten Haaren und seiner südamerikanischen Suada in FS 1. Lange Reden zu halten, um nichts sagen zu müssen, ist die Kunst jener, die hohe Politik zu Schiebergeschäften mißbrauchen und deren Schiebergeschäfte weltpolitische Folgen zeitigen. Wir begegneten einst Peröns Straßenkreuzer an einer weltfernen dörflichen Tankstelle nahe der spanisch-portugiesischen Grenze. Neben dem Diktator und seiner dunkelblickenden Begleitung erhielt die natürliche Vornehmheit der heiteren, schlankgewachsenen Spanier, des Tankwarts, des eseltreibenden Bauern, der sich fächelnden Obstverkäuferin, erst ihr wahrhaft europäisch-edelmännisches Relief...

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