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Abrahams stolze Söhne

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Am 20. Oktober ist Welt-missionssonntag. Aus der Kirchensammlung dieses Tages werden 900 Diözesen der Dritten Welt unterstützt. Wie geht heute Missionsarbeit vor sich?

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Am 20. Oktober ist Welt-missionssonntag. Aus der Kirchensammlung dieses Tages werden 900 Diözesen der Dritten Welt unterstützt. Wie geht heute Missionsarbeit vor sich?

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Die katholische Pfarrgemeinde von Handeni in Tansania ist halb so groß wie das gesamte Nachbarland Burundi. Rund 200.000 Ak-kerbauern der Bantu leben hier, von denen sich ein Großteil zum Islam bekennt.

Doch dann gibt es da noch die 20.000 bis 30.000 Angehörigen des Hirtenvolkes der Massai, die mit ihren Rindern irgendwo draußen in der südlichen Massai-Steppe umherziehen.

In der steinernen Kirche von Handeni, deren Kreuz nachts weit hinein in die Steppe der Kitwei-Ebene leuchtet, herrscht eine feierliche Spannung. Einhundert Massai und ebenso viele Bantu-Christen aus der Umgebung der Stadt drängen sich am Samstagnachmittag auf den Bänken. In der ersten Reihe sitzen fünf Frauen in traditioneller blauer und zwölf Männer in weinroter Mas-sai-Tracht. Bunter Perlenschmuck und Messingreifen zieren ihre Hälse und Arme. Nun warten sie auf ihre Taufe.

Lange Zeit galten die Massai als unerreichbar für die Botschaft des Evangeliums. Das kriegerische Hirtenvolk in der Dornbuschsteppe Ostafrikas sei viel zu stolz und konservativ, um das Christentum annehmen zu können, glaubten die weißen Priester.

Um 1950 begannen Ordensmänner in Tansania dann doch mit der Missionsarbeit unter den Halbnomaden: sie bauten eine Schule für Massai. Soldaten der britischen Kolonialverwaltung trieben die Buben aus den Kralen zum Unterricht. Die jungen Männer kehrten als Fremde, mit weißen Hemden und Hosen, in ihre Großfamilie zurück.

Die Folgen dieser ersten Missionsversuche bekam Pater Odilo Hüppi bald zu spüren, nachdem er 1978 mit der Arbeit in Handeni begonnen hatte. „Dein Glaube ist schon richtig“, antwortete ihm ein Massai-Krieger eines Tages, „aber er ist etwas für Frauen und Kinder!“ ' Schnell wurde dem Schweizer Benediktiner klar, daß er seine Missionsarbeit auf die Krieger (Morani) und die Veteranen konzentrieren mußte, deren Wort allein in der Massai-Gesell-schaft gilt. Auch wollte er nicht Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung und ihrer Kultur herausreißen, sondern im Gegenteü die Tradition des Hirtenvolkes stärken und in die neue Religion integrieren.

Schwester Karin Kraus, die zusammen mit Pater Odilo die Gemeinde in Handeni betreut und zudem als Tierärztin arbeitet, kam durch ihre Arbeit beinahe täglich mit den selbstbewußten Massai-Männern in Kontakt. Sie untersucht das Vieh der Hirten und behandelt es gegen Zeckenbefall und die Schlafkrankheit. Durch die Schwester fanden dann auch die ersten erwachsenen Massai den Weg zur Missionsstation.

Mittlerweile ist hier ein richtiges Begegnungszentrum für Massai mit Schlafstellen, Kochgelegenheiten und einem Aufenthaltsraum entstanden. Durchschnittlich 50 Männer und Frauen kommen von bis zu 150 km entfernten Kralen am Wochenende zusammen zu Unterricht, Gottesdienst und tiermedizinischer Beratung.

Doch Pater Odilo legt Wert darauf, daß die Massai nicht etwa Christen werden, um Medikamente für die Rinder zu bekommen. Der Veterinärdienst ist unabhängig vom Glaubensbekenntnis des jeweiligen Hirten.

„Wenn ihr getauft werden wollt, dann müßt ihr das beweisen“, sagt der Missionar den Teilnehmern beim Bibelunterricht. So muß jeder Massai nach einem mehrmonatigen Katechumenat eine Prüfung ablegen. Zehn Männer und Frauen sind dieses Mal durchgefallen. Pater Odilo ist ein strenger Lehrer: die Täuflinge sollen wissen, was sie tun, wenn sie sich von ihm in der Kirche das Wasser über den Kopf gießen und ein weißes Tuch über ihre farbigen Gewänder legen lassen.

„Wir wollen die Massai herausholen aus der Isolation, in die sie durch die moderne Zivilisation geraten sind, und sie aufnehmen in die Weltkirche“, faßt der Schweizer Priester die Konzeption seiner Missionsarbeit zusammen. Längst ist er zu einem Anwalt der Massai gegenüber Regierung und Partei geworden, und mehr als einmal hat er schon bei der Polizei in Handeni protestiert, wenn diese bei Streitigkeiten zwischen Bantu und Massai übereilig den Bantu recht gegeben oder sich gar geweigert hatte, eine Anzeige von den Massai aufzunehmen.

Kultur bewahren

Auf der Missionsstation legt man Wert darauf, daß die Massai ihre kulturelle Identität bewahren und beispielsweise in ihren traditionellen Gewändern am Gottesdienst teilnehmen. Doch zugleich möchte Schwester Karin den Halbnomaden eine Perspektive für die Zukunft eröffnen, indem sie den Männern Unterricht in Tiermedizin erteilt und die Frauen mit dem Obstanbau, der die Ernährung der Massai sinnvoll ergänzen würde, vertraut macht. Verschiedene Schaubeete auf dem Gelände der Missionsstation demonstrierten den Viehzüchtern, was in der Steppe bei ihrem Kral auch ohne Bewässerung gedeihen könnte: Bananen, Orangen, Grapefruits, Ananas, Sonnenblumen und Erdnüsse.

„Papa lang otii Shumata“ — schrill hallt an jenem Samstagnachmittag das „Vater unser“ aus den Kehlen der Massai-Frau-en und -Kinder durch das Gotteshaus. 17 Stammesgenossen hat Pater Odilo soeben getauft. Und noch einmal hat er ihnen vom Guten Hirten erzählt, der - ganz anders als Engai, der Massai-Gott, der nur die Reichen liebt — dem verlorenen Schaf hinterherläuft.

Ihr Stammesältester Ole Raboi, einer der ersten Massai, die im Distrikt Handeni katholisch wurden, hatte bei seiner Taufe einen erhabenen Patron gewählt Er nannte sich Abraham.

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