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Alfred Gessweins Vermächtnis

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Vor einem Jahr, am 13. Mai, ist Alfred Gesswein gestorben. Die Nachrufe waren noch nicht verhallt, als die Literaturzeitschrift Podium" ihm ihre Jubiläums-Nummer widmete. Darin wird offenbar, wie sehr der Dichter vor allem von denen geschätzt worden ist, die selbst als Dichter bekannt sind. Ihre Beiträge, vorwiegend persönlich gehalten, geben ein Maß.

So wird nun auch die Wissenschaft sich mehr mit Gessweins Lyrik befassen und auch die in den Zeitschriften .Literatur und Kritik", ,X>ie Furche", „morgen" gebrachten Rezensionen ausgraben müssen. Es haben zum Werk dieses Dichters immerhin ein Ludwig von Ficker, Gerhard Fritsch, Alfred Focke, Franz Richter, Alois Vogel, Albert Janet-schek, Jeannie Ebner u. a. Stellung genommen. Davon ist bibliographisch leider nichts erfaßt, wenn man von einem analytisch gut fundierten Essay des J. W. Paul im .Podium" absieht.

Alfred Gesswein hat in mehr als 600 Gedichten dem Bewußtsein des modernen Menschen Ausdruck gegeben, dem Wissen nämlich vom Abgrund zwischen Gott und der Welt, dem Menschen und der Natur. Die schwermütige Art seiner Dichtung, ihre Klage und Anklage, Verzweiflung und Hoffnung, der krasse Widerspruch des Lebens an sich, die Wandlung und schließlich Befreiung im Wort berechtigen Gesswein zum Ausspruch: „mein gedieht verändert die weit" (Zielpunkte, 5). So ist es auch: Er hat geschaut, empfunden, gesehen und gesagt, was er sah. Es ist seine Wahrheit — die Wahrheit überhaupt? — von Anfang an, schon im Gewirr der Metaphern, die später vielfach Symbolkraft gewinnen.

Im Lauf der Zeit aber scheint sein empfindliches Wesen der Erlebnisse müde geworden zu sein. Die vielen Gartenhäuser", die Bilder alle, so schön sie auch sind, unterliegen „der willkür des windes". Ihr Zusammenfall macht ihn zum Stoiker, und jede Einkehr in sich selbst — die Ratio läßt ihn das Leben im Geviert vermessen — ist eine Selbstbetrachtung, die Otto Basil mit der des Marc Aurel vergleicht. Dennoch führt etwas in seiner Dichtung „über/die horizontlinie/ mit dem/nicht anvisierbaren/Zielpunkt" hinaus. Der Wind, der als Geheimnis fühlbar bleibt, trägt ihn dorthin, Worte findet er keine dafür, doch weiß er von dem „baum/mit einem him-mellvoller bluten". Vermächtnis, ein Zusatz vielleicht, nach letztem Erkennen.

Der Autor ist Professor für Germanistik an der Universität Rom.

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