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Als Histone getarnt

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Einer der engagierten ostdeutschen Autoren ist Martin Stade, dessen Roman „Der König und sein Narr” in der DDR fast unterdrückt worden wäre, jedenfalls wurde er aus den Schaufenstern der Buchläden verbannt. Dabei handelt es sich um einen historischen Roman, von brennender Aktualität allerdings. Denn hinter der zeitlichen Distanz werden Strukturen und Machtmechanismen der heutigen DDR aufgedeckt.

Stade beherrscht perfekt das Verfahren, die Wahrheit indirekt zu sagen und damit die Zensur zu unterlaufen - freilich eine offenbar etwas toleranter gewordene Zensur.

Der Autor hält sich präzis an die historischen Fakten, erzählt authentische Begebenheiten. Der Roman spielt vor 250 Jahren am preußischen Hof des Königs Friedrich Wilhelm I. Der Gelehrte Jacob Gundling verliert nach der Auflösung der preußischen Ritterakademie seinen Posten als Geschichtswissenschaftler. Arbeitslos geworden, nimmt er die ihm angebotene Stellung als „Vorleser des Königs” an, wird also zum Hofsprecher eines absolutistischen Systems. Man lacht heimlich über den idealistischen, scheinbar weltfremden und naiv aufrichtigen Gelehrten. Man demütigt ihn. Man hat eine Opfer gefunden, ein intellektuelles Opfer, an dem man seine eigenen geistigen Minderwertigkeitskomplexe abreagieren kann. Gundling muß an den Zechgelagen des Königs teilnehmen, muß sich anpassen, muß mit den Mächtigen mitlachen, wird geschlagen, verlacht und verspottet. Man duldet ihn und läßt ihn das spüren. Der Gelehrte versucht zu fliehen, zweimal, doch immer wieder stellen ihn die Häscher des Königs.

Man bestraft ihn auch nicht dafür - äußerlich zumindest sondern belohnt ihn. Sein Gehalt wird um tausend Taler erhöht, er selbst zum Hofnarren und Oberzeremonienmeister des Königs „befördert”. Zum institutionalisierten Belustigungsobjekt. Eine Beförderung, wie sie wohl kaum entwürdigender und demütigender ausfallen kann. Man versteht es, Macht subtil und differenziert auszuüben. Man kann Menschen auch brechen und zerstören, ohne sie physisch zu bestrafen. Gundling kann nur noch resignieren, sich abfinden. Der Alkohol bietet ihm die einzige Möglichkeit zu vergessen, in eine Scheinwelt zu flüchten.

Ein historischer Roman, sicherlich. Aber Stade macht mehr daraus, macht das Ganze zu einer Parabel über die Situation des Schriftstellers, des Intellektuellen überhaupt in der DDR, Gundling ist ein schwacher, ein negativer Held, eiher, der sich nie auflehnt, obwohl er gedemütigt und entmündigt wird. Er ist ein Aushaltender, ein bezahlter Clown des Staates, ein Intellektueller mit Narrenfreiheit. Er lebt gesichert und darf sogar sagen, was er will. Doch niemand nimmt ihn ernst, es sind ja nur die Scherze eines Hofnarren. Gerade an diesem Beispiel werden die subtilen Unterdrük- kungsmechanismen eines autoritären Staates sichtbar gemacht. Man versorgt die Oppositionellen - sprich Künstler -, man hält sie aus und wartet, bis sie sich langsam angepaßt haben, bis sie resignieren oder flüchten. Gleichgültig, ob in ein anderes Land oder in den Alkohol, wie Gundling es tut. Man ist dem System ausgeliefert, und ohne daß man es merkt, biedert man sich an, verleugnet sich, wird zu einem Sprachrohr der Herrschenden. Flüchten oder Sichanpassön.

Ein Roman, der trotz seiner Historizität das Aktuellste ist, was zur Situation von Intellektuellen in einem doktrinärkommunistischen Staat erschienen ist.

Ein Roman, der auch vom Stilistischen, Formalen her, befriedigt. Stade schreibt flüssig, einfach, wechselt Erzählrhythmus und Tempi, montiert Monologe und Gegenmonologe, die die Handlung verzögern, innere Mechanismen ausleuchten. Eine neue sprachliche Sensibilität, die abrückt von einer nur autistischen Selbstbespiegelung, scheint sich anzubahnen. Eine Literatur, die Probleme umsetzt, kritisch und distanziert Herrschaftsmechanismen aufdeckt.

DER KÖNIG UND SEIN NARR, von Martin Stade, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1977, 350 Seiten, öS 229,50.

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