katta - © Wikipedia/Nevit Dilmen (CC BY-SA 3.0)

Corona: Krisen-Fitness à la Lemur

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Nicht selten werden wir dieser Tage von „Zukunfts-Experten“ bestürmt, die uns erzählen wollen, dass sich „nach Corona alles ändern wird“. Die einen meinen, wir würden bessere Menschen werden – zugewandt, rücksichtsvoll, umweltbewusst. Die anderen malen lieber die große Katastrophe: der Mensch als willenloses Geschöpf, gesteuert von Apps und Überwachungsstaat. Zwischen so viel Utopie und Dystopie geht leider oft der Wirklichkeitssinn verschütt.

Wer Letzteren sucht, kann ruhig einen Blick in die Natur riskieren. Man findet dort zwar keine großen Apokalypsen oder Paradiese, dafür aber sehr praktische Dinge: etwa bei den Lemuren, diesen wundersamen kleinen Primaten, die ausschließlich in Madagaskar zu finden sind. Sie gehören zu den frühesten Affenarten. Ihre zum Teil riesenhaften Augenpartien ließen sie den römischen Totengeistern verwandt erscheinen. Daher ihr Name. Sie sind also schon rein äußerlich die richtigen Tiere für gespenstische Zeiten.

Lemuren sind Keynesianer in Reinkultur. Sie konsumieren in der Not, was sie vorher erspart haben. Wir sparen nicht – und fallen umso härter.

Nun haben die Lemuren ein unter Primaten einzigartiges Krisenverhalten. Fettschwanzmaki-Lemuren sind die einzigen Affen, die in „Mangelschlaf“ gehen. Wenn ihr Nahrungsmittelangebot etwa wegen Trockenheit zurückgeht, verfallen sie in einen tranceartigen Zustand. Ihr Energieverbrauch geht dann drastisch zurück. Sie konsumieren langsam jene Fettreserven, die sie sich in besseren Zeiten angefressen haben. Dem modernen kapitalistischen Staatshaushalt ist ein solcher Mechanismus leider fremd. Die Regierenden legen in guten Zeiten längst nichts mehr zurück – wodurch die Landung in der Krise entsprechend hart ausfällt.

Dabei haben wir uns die längste Zeit wie Lemuren verhalten. Man denke nur an den biblischen Joseph, der dem Pharao riet, Getreidespeicher gegen die Hungersnot anzulegen. Reinster Lemurismus! Auch der Keynesianismus, der staatliche Ausgaben in Krisenzeiten predigt, ist per Konzept nur dann nachhaltig, wenn der Staat Reserven anlegt. Aber wer sagt das heute schon, wo es so dringend ums Wirtschaft-Retten geht? Dass wir die fetten Summen, die das kostet, nachher werden berappen müssen.

Es gibt bei Lemuren übrigens auch ein „zwischenaffiges“ Verhalten, das ein wenig an unser aktuelles, pandemisches Treiben erinnert. Wieselmaki-Paare vermeiden bevorzugt jeden Körperkontakt. Abstand halten ist für 364 Tage Gesetz, nur an einem Tag pro Jahr – zur Paarung – ist Berührung erlaubt. Wer dagegen verstößt, riskiert Prügel. Das ist vom epidemiologischen Standpunkt aus gesehen zwar sehr gesund: denn ohne Kontakt keine Übertragung von gefährlichen Krankheiten. Aber der Alltag ist dann doch etwas eintönig, in der Selbstisolierung. Wir können das jetzt erkennen, wo man uns von amourösen zu lemurösen Wesen gemacht hat. Selbst Totengeister würden darüber erbleichen!

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