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Füttere keinen Kellner!

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Haben Sie schon einen spanischen Kellner mit kalten Spaghetti gefüttert? Wenn nicht, dann waren Sie entweder noch nicht in Madrid, und wenn ja, dann nicht mit einer 30köpfigen hungrigen und unzufriedenen Reisegruppe. Und wenn Sie trotzdem bereits in Madrid mit einer murrenden, protestierenden Reisegesellschaft unterwegs waren, dann sicherlich nicht mit meinem Freund Richard!

Mein Freund Richard verbrachte seit vielen Monaten einen Großteil seiner Freizeit mit der Vorbereitung unserer Spanienreise und fühlte sich für alles verantwortlich. Die selbstaufgeladene Schuld während des Dezemberregens konnten wir ihm noch ausreden, genauso daß Madrid weder einen richtigen Stadtkern noch überhaupt ein „Stadtrecht" hat. Vor allem letzteres störte uns noch am wenigsten. Dafür umso mehr das unfreundliche Hotelpersonal und vor allem die wenigen Kellner mit dem lauwarm bis eiskaltem Essen. Auch die geoku-linarische Erfahrung, daß die Spanier nur eine Reisegruppe aus Wien weniger schätzen als warmes Essen, konnte uns über die Tatsache eines eiskalten Spaghetti-Genusses nicht hinwegtäuschen. Die Katastrophe brach, aus, als der einzige Kellner, der unsere 30 hungrigen Mägen ausgesprochen unlustig - mehr schlecht als recht - zu befriedigen suchte, dem protestierenden Richard („Wie können Sie uns diese eiskalten Spaghetti servieren?!") widersprach und kühn das Gegenteil behauptete.

Jetzt nahm das Unheil seinen Lauf. Ohne ein Wort zu sagen, drehte Richard etwas Spaghetti auf eine Gabel und stopfte den kalten Italienexport dem Kellner in den Mund. Dann herrschte Totenstille im kleinen, ungemütlichen Speiseraum; aus dem großen Speisesaal wurden wir schon früher verbannt.

Die Folgen waren überraschend. Der Kellner rannte weg und kehrte bald mit dem laut protestierenden Maitre zurück. Nach kurzem, doch umso heftigerem Wortwechsel, wobei unser Freund Adi dem Maitre klarzumachen versuchte, daß nicht wir für ihn, sondern er für uns „ da ist", ereignete sich ein wahres Wunder unter Spaniens regenverhangenem Himmel: Wie Pilze nach dem Regen schlüpften plötzlich fünf, sechs Kellner aus dem Nichts in unseren Raum und servierten, kaum zu glauben, heiße Spaghetti.

Nach diesem Spaghetti-Wunder verließen wir Madrid, nachdem ich feststellen konnte, daß sich die bestversteckte „Caffeteria" aller Museen der Welt im Prado befindet, und fuhren Richtung Andalusien. Wie wunderschön Sevilla, Toledo, Malaga, Granada, vor allem aber Ronda ist, das wissen Sie, verehrte Leser, viel besser als ich. Deshalb will ich Sie hier nicht mit dem zehntausendsten Reisebericht über südspanische Städte, Kirchen und Kathedralen langweilen, sondern mit einer kleinen Warnung schließen: Sollten Sie, wie zum Beispiel ich, nicht so mutig sein wie mein Freund Richard, dann füttern Sie keinen stolzen spanischen Kellner mit kalten Spaghettis, außer Sie möchten die iberische Küche - zumindest -lauwarm genießen.

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