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Lao- Tses Beitrag zum Umweltschutz

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Auf seinen Wanderangen gelangte der große Lao-Tse auch nach Griechenland, um den griechischen Weisen, von deren Ruhm er unterwegs vernommen hatte, einen Resuch abzustatten. Tief versunken in erhabenen Gedanken schritt er am Fuß eines Rerges dahin, als ihn ein Poltern und Krachen störte, das immer näher kam, und er konnte gerade noch vor einem mächtigen Felsbrocken, der sich den Hang herabwälzte, zur Seite springen. Der Felsbrocken hatte kaum den Talgrund erreicht, da stolperte auch schon in seiner Bahn ein auffallend muskulöser Bursche hinterher. Verschwitzt und atemlos hielt er vor dem Felsbrocken an, ging um ihn herum und ließ dabei seine Muskeln spielen, ohne des Weisen auch nur im geringsten zu achten.

„Heda”, sagte Lao-Tse, indem er auf ihn zutrat.

Der Bursche fuhr herum und maß ihn mit wildem Blick.

„Mein Name ist Lao-Tse”, sagte Lao-Tse.

„Nie gehört”, erwiderte der Bursche. „Ich heiße Sisyphos.”

„Nie gehört”, ging Lao-Tse auf den rüden Ton ein. „Mir scheint, dies bedarf einer Erklärung.”

„Ich bin dazu verdonnert, diesen Brocken auf den Berg hinauf zu bringen: Das weiß hier jedes Kind!”

„Na und?” sagte Lao-Tse. „Du bist doch ein starker Kerl! Wo liegt das Problem?”

„Er bleibt nicht oben”, erwiderte Sisyphos. „Er will einfach nicht. Wenn ich ihn oben auf der Spitze habe, macht er sich selbständig und läuft mir aus den Händen. Da kann er's auf einmal! Immer wieder den Berg herunter, bis er nicht mehr weiter kann. Und ich darf wieder von vorn anfangen.”

„Auch er folgt nur seiner Natur bis zum tiefsten Punkt”, sagte Lao-Tse. „Wenn du das verhindern willst, mußt du ihn überlisten.”

„Wie das?” fragte Sisyphos.

„Hier”, sagte Lao-Tse und nahm seinen Proviantbeutel von der Schulter, der nach der weiten Reise nur mehr eine einzige Orange enthielt. „Nein, die ist ein Gastgeschenk, das ich noch brauchen werde. Aber meinen Sack kannst du haben: In den füllst du ein paar Steine, nicht zu groß und nicht zu klein. Und wenn du mit dem Brocken oben auf der Spitze ankommst, läßt du ihn nicht gleich los, sondern schiebst ihm die Steine so unter, daß er nicht wegrollen kann. Verstanden?”

Sisyphos nickte, packte ein paar Steine in den Beutel, schlang ihn über die Schulter und machte sich daran, den Felsbrocken bergauf zu wälzen. Lao-Tse setzte sich indessen unter einen Baum und versank wieder in erhabene Gedanken.

Es dauerte eine gute Weile, bis Sisyphos zurückkehrte. „Du hast recht gehabt, alter Herr”, sagte er. „Er ist oben!”

„Siehst du”, sagte Lao-Tse. „Und was soll ich jetzt tun?” fragte Sisyphos.

„Du könntest neben mir Platz nehmen”, meinte Lao-Tse, „und ein wenig denken.”

Sisyphos setzte sich, aber bald wurde er unruhig. „Ich fürchte, ich kann nicht denken”, sagte er. „Ich bin ein Gigant, und wir Giganten sind leider zum Denken nicht eingerichtet. Mir fällt immer nur mein Brocken ein, wie er dort oben liegt und auf mich wartet. Sag mir, was ich tun soll!”

„Was es nicht alles gibt”, sagte Lao-Tse: „Ein Gigant! Geh' also wieder hinauf auf den Berg und zieh einen von den Steinen, die du dem Brocken untergeschoben hast, wieder heraus. Dann wird dein Brocken nach der Seite, wo du den Stein herausgezogen hast, den Berg herunterrollen.”

„Ja!” rief Sisyphos. „Dann muß er tun, was ich will!”

„So ist es”, versicherte Lao-Tse, indem er sich erhob. „Und vorher schaust du, ob nicht vielleicht unten jemand geht, der zu Schaden kommen könnte.”

„Danke, alter Herr”, sagte Sisyphos. Leichten Fußes stieg er den Berg hinauf, und im Kopf war ihm dabei so schwindelig, als hätte er tatsächlich zu denken angefangen. Als sich der Felsbrocken talwärts wälzte, streifte er zwar den Schatten Lao-Tses, aber das tat er nur, weil um diese Stunde die Schatten schon sehr lang geworden waren. In Wahrheit war Lao-Tse schon weit voraus.

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