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Schweiß riecht nach Melancholie

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Schweißgeruch - das ist heutzutage etwas ganz Arges. Wer schwitzt, stinkt, und noch dazu nach Schweiß. Und den Schweiß einfach abzuwischen? Nein, so etwas konnte sich vielleicht die heilige Veronika erlauben und sich dabei noch malen lassen. So etwas konnten sich im 20. Jahrhundert noch Louis Armstrong und Ella Fitzgerald erlauben. Aber alle anderen haben gefälligst nicht zu schwitzen, wenn sie etwas gelten wollen. Wer schwitzt, kriegt Flecken im Ballkleid. Wer schwitzt, verliert politische Fernsehkonfrontationen. Wer schwitzt, ist schwach. Wer schwitzt, ist nur ein Mensch. Was ist das eigentlich für ein besonderer Saft, Schweiß?

„Das farblose, weitgehend geruchlose, salzig schmeckende Absonderungsprodukt der Schweißdrüsen. Verschiedene organische Substanzen im Schweiß entstammen dem Sekret von Duftdrüsen beziehungsweise bakteriellen Zersetzungsprodukten. Sie ergeben zusammen mit Milchsäure und zum Beispiel nach Knoblauchgenuß einen oft sehr unangenehmen Körpergeruch" definiert das Lexikon.

Beligiös gesehen ist der Schweißgeruch ein melancholisch-theologischer Geruch. Denn er erinnert die Menschen ständig daran, daß sie aus dem Paradies vertrieben worden sind. Als Gott das erste Menschenpaar aus dem Paradies hinausschmeißt, sagt er ja bekanntlich zu Adam: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen."

Wohlgemerkt - gearbeitet haben Adam und Eva auch im Paradies. Aber jetzt, außerhalb des Paradieses, ist alles sehr kompliziert und schwierig geworden - und vor allem eine Biesenplag'.

Aber zum Unterschied von heute durfte Adam wenigstens nach Herzenslust schwitzen und stinken. Und Eva hat ihn trotzdem geliebt und seinen herb-männlichen Bocksgeruch als Aphrodisiacum genossen. Heute dürfen Adam und Eva nicht einmal mehr schwitzen, weil das die Päpste einer „Parfümeriekirche" so beschlossen haben. Und Adam kauft den Körperduft im Geschäft, den Eva 1997 von ihm erwartet. Und im übrigen wissen beide längst, daß sie nicht mehr die Nachfahren von Paradies-Vertriebenen sind. Denn was man nicht mehr riechen kann, das gibt es nicht mehr. Prosit!

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