6557934-1948_32_13.jpg
Digital In Arbeit

Um die Akustik der Oper

Werbung
Werbung
Werbung

Die Akustik der „alten“ Opernhäuser wurde durch die übliche dekorative Prachtentfaltung, durch die vielen Säulen, Nischen, Logen, durch den Stuck und die reiche Plüschverkleidung gefördert. Trotz des damaligen primitiven Niveaus der wissenschaftlichen Raumakustik kamen durch die Ausstattung de Raumes erträgliche, häufig sogar erstklassige akustische Verhältnisse zustande. Weniger verschwenderisch ausgestattete Theater waren immer minderwertiger. Die Erfahrung bildete so eine charakteristische, sich bewährende Opernbautechnik heraus.

Es ist also verständlich, daß die Wiener ihre alte Oper mit ihren angeblich außerordentlichen akustischen Qualitäten möglichst unverändert auferstehen lassen möchten. Denselben Wunsch hatten auch die Berliner bezüglich ihrer Oper und bemühten sich, beim Wiederaufbau möglichst genau an den alten Plänen festzuhalten. Die Mailänder setzten diese Grundanschauung durch die Kopie des alten Raumes in die Tat um; sie benützten sogar die er- haltengebliebenen Stuckmodelle.

Und doch liegt in diesem Bestreben ein Trugschluß. Die Baustoffe, die heute Verwendung finden, sind von denen des vorigen Jahrhunderts verschieden, der Plüsch und vor allem die Materialien unter dem Plüsch sind heute andere. Außerdem liegen in Wien die Detailformen nicht mehr vor. Die Akustik der neuen Oper wird also in jedem Fall von der der alten Oper wesentlich verschieden sein; sogar dann, wenn die Kopie die größte Ähnlichkeit erreichte.

Stellt man die Gewissenfrage, ob die Akustik der Oper auf allen Plätzen vollkommen war, so hört man geteilte Meinungen. Es kommt darauf an, welcher sozialen Schicht der Gefragte angehört, das heißt welche Plätze er kaufen konnte. Man erfährt, daß die Akustik an den Parterrestehplätzen und den rückwärtigen Parkettsitzen hervorragend, an den mittleren Parkettsitzen aber nicht gleichwertig war. Die Hörer des dritten und vierten Ranges stellen der Akustik der alten Oper nicht durchaus rühmliche Zeugnisse aus. Am einheitlichsten günstig ist die Meinung der Musiker.

Vom Standpunkt der modernen Akustik lassen sich kaum Gründe angeben, die für ein strenges Festhalten an der alten Form der Oper sprechen. Denn sowohl die geometrisch-optische Raumakustik als auch die Schallschluckstofftechnik haben heute eine außerordentliche Höhe erreicht und bieten eine Fülle von Möglichkeiten, die dem Baumeister des vorigen Jahrhunderts niaht zur Verfügung standen. Es geht heute nicht mehr darum, die durch Plüsch und Stuck gestützte Akustik des alten Hauses mühsam zu rekonstruieren, sondern darum, sie durch eine zumindest . gleichgute zu ersetzen, die sich auch an den billigen Plätzen bewährt. .

Zu den akustischen Laienurteilen ist übrigens folgendes zu sagen: Die Akustik ist zu einem merkwürdig großen Teil Geschmacksache, wenigstens soweit sie sich auf die besondere Färbung des Nachhalls bezieht. Einer sieht akustische Vollkommenheit in der Klarheit, der andere in der rauschenden Feierlichkeit des Klanges. Die Wandverkleidungstechnik gestattet, den einen wie den anderen Wunsch zu erfüllen. Das Schallschluckvermögen verschiedener Stoffe ist stark von der Tonhöhe abhängig, so daß hier breite Variationsmöglichkeiten bestehen, die individuell verschieden aufgenommen werden können. Daher wird, wie überall, die neue Oper, wie auch immer ihre Qualität vom wissenschaftlich akustischen Standpunkt ausfallen mag, zunächst stark kritisiert werden, bis sich die Kritiker an die neue Akustik gewöhnt haben. Genau wie sich jeder erst an seinen Radioapparat gewöhnen muß, ihn aber dann klanglich jedem anderen vorzieht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung