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Wahlkampf oder tierische Sprachkultur

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Wenn Menschen einander beschimpfen oder wenn sie zärtlich miteinander reden, dann verwenden sie gern Tiernamen. Das war schon so, bevor sich der ländliche Proletarier David vorstellen konnte, König in Israel zu werden. „Mein Täubchen, „meine Gazelle", „mein Rehlein" - das ist genauso gut biblisch belegt wie „du Hund", „du Wolf", „du Fuchs", „du Esel" und „du Schlange".

Könnte man sich vorstellen, daß das umgekehrt auch so passiert? Nämlich, daß Tiere Menschenworte verwenden. Vielleicht sagt dann der Friedenstäuberich zum Frieden-stäubchen: „Na komm her, mein Menscherl, meine kleine Sekretärin, meine holde Professorin, meine strenge Lehrerin, mein Hausfrauerl!" Und vielleicht antwortet ihm dann das Täubchen: „Ich liebe dich, du klaner Strawanzer, du Teilzeit-Hallodri, du süßes Männchen, du großer Star, du wilder Programmierer, du Flugkapitän meines Herzens!"

Und wenn das verliebte Täubchen auch noch fromm sein sollte, sagt es vielleicht noch zum Täuberich: „Du verwegener Kirchenbeitragszahler, du heißer Protestant, du kühner Kir-chenvolksbegehrenunterschreiber!"

Aber eben nur „Vielleicht", denn natürlich reden Tiere nicht so miteinander. Denn Tiere reden gern positiv über Menschen.

Krokodil: „Ich finde es herrlich, daß es Menschen gibt. Das hat Gott in seiner Weisheit so wunderbar und vernünftig eingerichtet."

Löwe: „Ja, und sie schmecken so gut, diese Menschen!"

Krokodil: „Das glaub ich. Da hab' ich übrigens gestern einen Minister gefressen. Ich sag' dir - ein Gedicht."

Löwe: „Geh, einen Minister. Ein durchtrainierter Oppositionspolitiker oder eine zarte Grüne - das ist eine Delikatesse."

Wieder falsch. Natürlich schauen sich Tiere kein Menschenkabarett an. Die Krokodile haben noch keinen Qualtinger hervorgebracht. Und bei den Löwen gibt es keinen Mini-Byd-linski. Tiere erzählen einander auch keine Menschenwitze. Und „Du Mensch" ist bei ihnen keine Beschimpfung. Man könnte eigentlich eine ganze Menge bei den Tieren lernen - nicht nur in Wahlkampfzeiten.

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