(Schauspielhaus Graz; „Ödipus, Tyrann" von Sophokles/Heiner Müller) Mit seiner Interpretation des ungeheuren Stoffes wolle er „ästhetisch aufstören", „eine Vehemenz transportieren", verkündete Regisseur Thomas Thieme. In der Praxis wird daraus ein szenisches Oratorium von zusammenhangloser, wild gestikulierter Motorik: ein Bewegungschor von sechzehn Jungturnern mit blankem Hinterteil und Knieschützern schreit „archaisch", rennt, kriecht, wälzt sich und skandiert ein unverständliches Lautgemisch.
In beißender Aggressivität hak-ken dieses Kollektiv und die vier Schauspieler aufeinander ein; die kargen Ruhepausen dienen zum Absingen von „Abendstille überall" und dem Vortrag einer Schnulze durch Kreon. Von Wahrheitssuche, von Selbsterkenntnis, von Tragik oder von politischem Hintersinn ist da keine Spur. „Ödipus" - ein Vorwand für ritualisierende Spielerei, die den Vers zur Fremdsprache verzerrt, dem Wort seinen semantischen Wert nimmt und es zum bloßen Material für ein selbstherrliches Regiediktat degradiert.
„AufStörung" durch nackte Hintern? „Vehemenz" durch sinnlose choreographische Abläufe? - Nicht das Werk, die Aufführung ist hier die wahre Tragödie...