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Aufwachen!

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Die Polarisierung in der Kirche Österreichs, die in den letzten Monaten offenkundig geworden ist, muß mit Sorge erfüllen. Nicht die Tatsache, daß Menschen verschiedene Meinungen vertreten, macht betroffen, sondern der Fanatismus, mit dem sie es tun.

Schon die Sprache verrät es. Da wird gefordert, daß dieser oder jener Professor oder Bischof „weg muß”, daß ein Laie, der im Dienst der Kirche steht, „fristlos entlassen” werden sollte. Das System der Denunziationen, von dem wir geglaubt hatten, daß es längst der Vergangenheit angehöre, funktioniert wieder.

Der Fanatismus ist ein illegitimes Kind der Religion; sein Vater ist die Politik. Was sich da jetzt offen zeigt, geht in Wirklichkeit schon Jahre zurück. Seit den späten sechziger Jahren waren es die „Linken”, die versucht haben, die Religion in den Dienst der Gesellschaftsveränderungen zu spannen. Das hat zu berechtigtem Unmut geführt.

Nun, da das Pendel zur anderen Seite ausschlägt, möchten „rechte” Kreise mit Hilfe des Glaubens eine „Wende” herbeiführen. Offensichtlich wollen sie beweisen, daß sie es noch besser können, zumal sie wissen, daß man heute in der Kirche nur noch etwas werden kann, wenn man sich konservativer Gesinnung befleißigt.

Allein schon die Tatsache, daß man von „linken” und „rechten” Katholiken spricht, zeigt, woher der Wind weht: von der Politik. Dabei wird übersehen, daß beide Extreme heutiger Polarisierung (glücklicherweise gibt es viele vernünftigere Menschen in der Kirche) aus derselben Ideologie erwachsen. Der christliche Glaube wird funktionalisiert, wird in den Dienst der Politik genommen.

Manche rechten Politiker geben heute ihrer unverhohlenen Freude über die „Wende” in der Kirche Ausdruck. Es sind jene Kreise, die schon immer den Zeiten nachgetrauert haben, wo die Kirche eindeutig gesagt hat, welche Partei man zu wählen habe. Davor kann man nur warnen.

Österreich hat in der Zwischenkriegszeit mit einer solchen Kirchenpolitik die schlimmsten Erfahrungen gemacht. Die Polarisierung hat damals das ganze Volk erfaßt, Österreich war in zwei oder drei Lager gespalten. Viele Menschen wurden aus politischen Gründen der Kirche entfremdet. Ein Arbeiter konnte nicht mehr katholisch sein. Darum ist ein politischer Katholizismus das letzte, was wir uns wünschen können.

Zu befürchten ist, daß in Österreich eine in mancher Hinsicht vergleichbare Situation entsteht wie in den dreißiger Jahren. Auch das erschreckende Wiederauftauchen des Antisemitismus gehört zu diesem Bild.

Wünschenswert wäre, daß die breite Mitte, die heute die Kirche real trägt, gestärkt würde, die „progressiven Konservativen” oder „konservativen Progressiven”, wie Ignaz Zangerle sie genannt hat. Und der österreichischen Politik kann man nur wünschen, daß die Vernunft Oberhand über die Irrationalismen behält.

Mir fällt in diesen Tagen immer wieder eine Radierung von Goya ein, unter ihr die Worte: „Wenn die Vernunft schläft, werden Ungeheuer geboren.” Hoffentlich geschieht dies nicht.

Der Autor ist Prorektor und Professor für Philosophie der Katholisch-Theologischen Hochschule Linz.

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