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Bis zum Rand der Lohntüte

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Aufgescheucht durch die unerwartet hohen Stimmen- und Mandatsverluste bei der letzten Betriebsratswahl der VÖEST ließen die roten Gewerkschafter das nahestehende Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) eilig nach den Ursachen des Schlamassels forschen. Als wichtigster Grund für die Stimmenverweigerung fanden die IFES-Leute heraus, daß sich die - nach wie vor dominierenden - sozialistischen Betriebsräte in den Augen der Belegschaft „zu sehr von der Basis entfernt“ hätten.

So weit ist weder etwas Ungewöhnliches noch Beunruhigendes an der IFES-Analyse. Bei über Jahre festzementierten Mehrheiten, wie wir sie hier in der politischen Zu-

sammensetzung des Betriebsrates vorfinden, wäre es eher ungewöhnlich, wenn es gelungen wäre, derartige Abnützungserscheinungen und Entfremdungen auf Dauer zu vermeiden.

Was aufhorchen läßt - und beunruhigt -, ist vielmehr die nähere Erläuterung, um welche Art von Belegschaftsinter-essen es denn da geht, und die Stellungnahme des kritisierten Betriebsrates.

Denn da ist nicht etwa von der vielzitierten Sicherung der Arbeitsplätze des kranken Stahlriesen, sondern von den „materiellen Interessen“ die Rede. Und konkret, von der Streichung der Erfolgsprämie, der der Betriebsrat angesichts der roten Zahlen zugestimmt hatte, weil ihm zu diesem Zeitpunkt, Gott sei Dank, noch keine Wahlergebnisse den ökonomischen Hausverstand getrübt hatten.

Das der IFES-Analyse folgende mea culpa des VÖEST-Betriebsratsobmannes läßt für die Zukunft Unangenehmes fürchten, wenn es mehr als eine taktisch gemeinte Seelenmassage sein sollte. Er gebe zu, Heß sich

Zentralbetriebsratsobmann Ruhaltinger vernehmen, daß der Eindruck entstanden sein könnte, die Betriebsräte „kümmerten sich zu sehr um die Entscheidungen, welche die Untemehmensführung betreffen“.

Soll das etwa heißen, daß sich der Herr Betriebsratsobmann künftig nicht um die Anliegen des Unternehmens kümmern will (oder darf), um das Vertrauen der Belegschaft (und damit bei den nächsten Wahlen mehr Stimmen) zu bekommen?

Gerade in der verstaatlichten Industrie, und hier wieder vorrangig im Eisen- und Stahlbereich, sind Struktur-änderüngen unaufschiebbar. Was man dabei am wenigsten brauchen kann, ist ein von der Belegschaft getriebener Betriebsrat, der sich wider besseres Wissen gegen notwendige Maßnahmen, und seien sie noch so schmerzlich, stemmt.

Die vordringliche Aufgabe des VÖEST-Betriebsrates scheint mir daher nicht zu sein, den Eindruck zu zerstören, er kümmere sich zu sehr um die Belange der Unternehmensführung. Vordringlich wäre vielmehr, zu erreichen, daß das Interesse der Belegschaft für die VÖEST nicht am Rand der Lohntüte endet.

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