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Vor ein paar Tagen hatten mich Sheltons, meine Freunde, ins Restaurant zum Essen eingeladen. Wir fuhren zu sechst in ihrem neuen Kombiwagen, drei vorn und drei auf den Rücksitzen. Allesamt waren wir ausgezeichneter Laune.

Doch dann versuchte Shelton, den Wagen anzulassen. Am Armaturenbrett leuchtete ein rotes Licht in der Größe einer Autobahnreklame auf, und ein Summer ließ ein Geräusch ertönen, das einer Sirene glich, die Luftalarm gibt.

Shelton schrie seine Frau an: „Schnall dich an!“

„Ich hab' mich doch schon angeschnallt“, kreischte diese zurück.

„Dann hast du dich nicht richtig angeschnallt. Du mußt den Schultergurt über deiner Brust festziehen.“

„Ich hab ihn über der Schulter“, erwiderte sie gereizt.

Ich saß zwischen den beiden auf dem Mittelsitz. „Vielleicht ist mein Gurt dran schuld“, schrie ich, hakte ihn los und dann wieder fest, aber der Summer beruhigte sich nicht.

„Macht schnell“, schrie jemand vom Rücksitz, „sonst geht der ganze Wagen noch in die Luft!“

Shelton beugte sich über mich hinweg zu seiner Frau, packte den Gurt über ihrer Schulter und zog ihn so fest wie möglich. Das rote Licht erlosch, und das Summen verstummte.

„Na also“, sagte Shelton befriedigt, „das hätten wir.“

„Aber ich ersticke“, stöhnte Mrs. Shelton. „Ich kann nicht mehr schnaufen.“

„Rühr dich nicht“, schrie ihr Mann sie an, „oder der Summer geht wieder los!“

„Ich kann den Atem nicht mehr länger anhalten als höchstens noch zwei Minuten“, brachte Mrs. Shelton gepreßt heraus.

Ich hob den Gurt an ihrem Nak-ken etwas hoch—und prompt ging das rote Licht wieder an, und der Summer ertönte. Shelton schlug mit beiden Fäusten aufs Steuerrad: „Hab' ich dir nicht gesagt, du sollst den Gurt nicht anrühren?“

„Aber ihr Gesicht war schon ganz grün“, erwiderte ich.

,AUes aussteigen“, ordnete Shelton an. „Wollen doch mal sehen, ob ich die Sache nicht in Ordnung bringe.“

Wir stiegen alle aus, und er prüfte sorgfältig den Vordersitz. .Alles stimmt. Mein Gurt geht in dieses Schloß, deiner in dieses hier und ihrer in dies da. So—jetzt steigen wir alle wieder ein, und ich wünsche keinen Summer mehr zu hören.“

Wir nahmen erneut unsere Sitze ein, und es gelang uns, nach fünf Minuten wieder angeschnallt zu sein. Shelton drehte den Zündschlüssel, und alle Lichter am Armaturenbrett flammten rot auf.

„Halt du ihren Gurt“, schrie mir Shelton ins Ohr, „und sie soll'deinen festhalten.“

„Und wer hält deinen?“ schrie ich zurück.

„Den halt ich selber.“

„Und wie willst du so fahren?“ fragte ich.

„Das ist ganz egal, wenn nur der Summer nicht wieder ertönt.“

Ich hielt Mrs. Sheltons Gurt fest, als gelte es mein Leben, und sie klemmte den meinigen unter ihren Ellenbogen. Shelton hielt seine eine Hand unter den Sitz und lenkte mit der anderen. Fünf Minuten lang war alles ruhig im Wagen. Dann stöhnte Mrs. Shelton: „Mir scheint, die Blutzirkulation in meinem Arm ist total unterbrochen. Ich hab' überhaupt kein Gefühl mehr darin.“

„Wir haben nur noch fünf Kilometer zu fahren“, brüllte Shelton .wütend. „So lange wirst du es wohl noch aushalten.“

„Laß meinen Gurt bitte etwas locker“, flehte Mrs. Shelton mich an.

„Wenn du das tust, bring' ich dich um“, schrie Shelton mich an.

Wir kamen in dem Restaurant noch rechtzeitig an, bevor Mrs. Shelton in Ohnmacht fiel. Das Essen war ausgezeichnet, aber niemand würdigte es. Jedermann dachte nur an die Rückfahrt.

Aus: ALLTAG-KNALLTAG. Guten-Morgen-Satiren. Herausgegeben von Elsemarie Maletzke. Fischer Taschenbuchverlag.

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