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Dandy und Gentleman

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Wir gingen wohl in die fünfte Klasse des Gymnasiums, als wir einmal „Dandy und Gentleman" als Aufsatzthema für eine Schularbeit in „Deutscher Unterrichtssprache" vorgesetzt bekamen. Meine Hilflosigkeit war groß, weil ich das Wort Dandy bis dahin nie gehört hatte und nur über den Gentleman Bescheid wußte, oder zu wissen glaubte. Verblüfft war auch der Professor, als ich mich über den Dandy beschwerte. Er könne jetzt keine langen Erklärungen abgeben, sagte er, aber der Dandy sei so ungefähr das Gegenteil des Gentleman. Im übrigen erlaubte er mir, bloß über den Gentleman zu schreiben. Er autorisierte mich also, das Thema zu verfehlen. Das habe ich später in kunstvoller Weise öfter getan, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen.

Im Gentleman hatte ich nun freilich jenen archimedischen Punkt, von dem aus ich auch das behauptete Antonym Dandy begrifflich auszuheben versuchte. Der Versuch mißlang. Denn heute weiß ich, daß der Dandy nicht das Gegenteil des Edelmannes, sondern ein ganz besonderer solcher ist, ein verkommener nämlich. Sein Zynismus, seine Arroganz, seine Extravaganz der Kleidung, seine Exklusivität der Lebensführung sind aristoid. Noblesse obliegt. Oder liegt darunter. Er ist ein tadeliger Adeliger und definiert durch Überdruß, Übersättigung und Ekel. Der Dandy verachtet ganz besonders denjenigen, der alles das heftig anstrebt, was ihn selbst längst langweilt und anödet.Der Dandy war, so gesehen, sicher kein Thema für das siebente Kind eines kleinen Gewerbetreibenden und Bauern in Oberösterreich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute könnte ich damit schon mehr anfangen und auch manches aus Selbstbeobachtung beitragen.

Vor zehn Jahren, am 10. November 1979 kam mein ältester Sohn zur Welt. Auf der Suche nach einem Namen ging mir durch den Kopf, daß ich ihn nach dem am gleichen Tag geborenen Schiller Friedrich oder nach meinem Vater (nicht nach dem von meinem Vater nicht gerade geliebten Luther, der auch an einem 10. November zur Welt kam) Martin nennen könnte. Schließlich einigte sich meine Frau auf Andreas...

Mir selbst kam Andreas nach dem Bruder des Petrus, der ganz besonders mit Konstantinopel verbunden ist, das der Papst damals eben besuchte, durchaus auch entgegen. Und waren wir auch fest entschlossen, bei Andreas zu bleiben und so etwas von seiner griechischen Wurzel aner, „der Mann", hörbar werden und keine Kose- oder Kurzform einreißen zu lassen, so setzten sich schließlich doch das Herz und die Form Andi durch. Zu spät aber wurde mir bewußt, daß Andi die deutsche Entsprechung von englisch Dandy, und Dandy eine Ableitung von Andrew, Andreas, ist. Oder sein soll, ganz sicher ist diese Etymologie ja nicht.

Ich hoffe, daß mein Sohn sie einmal als Volksetymologie entlarvt und das Praesagium oder Omen seines Nomens durch Männlichkeit lügen straft. Ein Märtyrer muß er deswegen ja nicht gleich werden.

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