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Das geknebelte Bethlehem

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Die Unruhen in Cisjordani-en und im Gazastreifen haben die Auswanderungswelle von Christen aus Israel verstärkt. Hier ein Augenzeugenbericht aus Bethlehem.

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Die Unruhen in Cisjordani-en und im Gazastreifen haben die Auswanderungswelle von Christen aus Israel verstärkt. Hier ein Augenzeugenbericht aus Bethlehem.

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Mitten in den von den Israelis besetzten Gebieten liegt Bethlehem, der Geburtsort Jesu Christi. Seit fast einem halben Jahr wird die 50.000 Einwohner zählende Stadt vom Aufstand der Palästinenser, der „Intifada“, gelähmt. „Was unternimmt die christliche Welt, was tun die Kirchen, um der Wiege des Christentums beizustehen?“ fragt der Bürgermeister von Bethlehem, Elias Freij, und in seiner Frage schwingt Enttäuschung mit.

In Bethlehem liegt Angst in der Luft. Die Menschen schleichen den Mauern entlang und verkriechen sich in ihren Häusern. Eiserne Gitter versperren die Eingänge zu den Geschäften. Soldaten versuchen sie mit Schweißbrennern und Stemmeisen zu öffnen.

Bei den Israelis besteht eine gewisse Neigung, den Konflikt zu konfessionalisieren, meint der Bethlehemer Bürgermeister. Vor der Staatsgründung Israels und der Errichtung dreier Flüchtlingslager 1948 war Bethlehem *fast ganz christlich. Heute ist es eine mehrheitlich moslemische Stadt.

Die Lager seien eine Last für Bethlehem, betont Freij, aber die Flüchtlinge seien gute Bürger, denen zu helfen nationale Pflicht sei. „Christen und Moslems sind hier einig und solidarisch im Aufstand gegen die Besatzung. Wir sind ja ein einziges Volk. Unser gemeinsames Nationalbewußtsein übersteigt bei weitem konfessionelle Unterschiede.“

Elias Freij ist praktizierender griechisch-orthodoxer Christ und gehört zu den Gemäßigten. Er ist einer jener wenigen gewählten Bürgermeister Cisjordaniens, die von den israelischen Besetzern nicht „demissioniert“ wurden. Etwas untersetzt, mit sanfter, fast eintöniger Stimme ist er über Bethlehem hinaus bekannt und geschätzt. Sogar die Unter-grund„regierung“ der „Intifada“ hat den Namen Freij in ihrem Kommunique Nummer 15 ausgespart, in dem sie den Rücktritt aller von Israel eingesetzten Bürgermeister fordert.

„Denkt man bei euch auch nur einen Moment lang daran, daß in Bethlehem 50.000 Menschen wirtschaftlich abgewürgt werden und nicht mehr wissen, wie sie finanziell über die Runde kommen?“ Niemand mehr hat in Bethlehem Geld. 90 Prozent der Arbeiter—so Freij — stehen im Streik.

Gewerbebetriebe, Hotels, Handelsgeschäfte und Fabriken sind geschlossen. Die Arbeiter werden daran gehindert, in Israel einer Beschäftigung nachzugehen — viele wollen das selbst auch gar nicht. Die 60 arabischen Polizisten von Bethlehem sind auf Befehl der aufständischen Ge-heim„regierung“ zurückgetreten. Nur wenige sind zur Arbeit zurückgekehrt. Von den 84 Restaurants der Stadt haben 80 offiziell ihre Schließung angekündigt.

Die Bevölkerung verarmt mit jedem Tag und ist nicht mehr in der Lage, die Gemeindesteuern zu zahlen. Die Gemeinde kann daher nicht länger ihre Dienste aufrechterhalten. Bürgermeister Freij bestätigt seinen Hilfsappell an das Internationale Rote Kreuz in Genf, um seine Rot-Kreuz-Station mit 22 Angestellten und fünf Ambulanzen weiterhin betreiben zu können.

Um das Fehlen von Regierungsautorität einigermaßen auszugleichen —die militärischen Autoritäten mit der Bezeichnung „Ziviladministration von Judäa und Samaria“ sind einzig mit der Niederschlagung des Aufstandes beschäftigt —, hat die Gemeindeverwaltung die Hüf e für die Bevölkerung der ganzen Region in die Hand genommen, das heißt für fast 130.000 Menschen in Bethlehem, Beit Jala, Seit Sahour und den umliegenden Dörfern.

Die christliche Elite wandert aus Bethlehem aus. Das hat in Bethlehem schon seit 150 Jahren Tradition. Um die Präsenz der Kirche in Bethlehem und eine intellektuelle Elite von Palästinensern in Bethlehem zu sichern, wurde 1973 mit Hilfe des Vatikans die Universität von Bethlehem gegründet, die heute unter Leitung von Anton De Roeper von den Schulbrüdern steht. Die Universität ist seit den Zusammenstößen zwischen israelischer Armee und Studenten im Oktober 1987 geschlossen. Die Schulen und Kindergärten der Region wurden am Pfingstmontag wieder geöffnet.

„Die Christen hier“ — so Rektor De Roeper - „haben den Eindruck, daß sie vom Rest der Christenheit im Stich gelassen werden, während die Moslems auf die Solidarität des Islam zählen können.“

Der Autor ist Chefredakteur der Schweizer Katholischen Nachrichtenagentur KIPA.

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