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Das große Ah-äh

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Seit einer Woche kann ich nicht mehr ungetrübt Radio hören und fernsehen, wenn nicht Musik auf dem Programm ist oder professionelle Sprecher am Werk sind, welche allerdings meist Texte ablesen, im Radio ganz legal, im Fernsehen mittels gewisser Behelfe, die nur von Fachleuten agnoszierbar sind.

Kurz vorher hatte ich die angenehme Aufgabe, Schauspielschüler im Vortragen lyrischer Texte zu unterweisen, und nötigte sie zusätzlich, die Auswahl des betreffenden Gedichts mit eigenen Worten zu begründen.

Das Vortragen von Lyrik war eher reibungslos zu erlernen. Bei der persönlich formulierten Begründung aber ergab es sich, daß jede und jeder mit „äh” oder mit „also” oder mit beidem, kombiniert, anfing, ehe er zu reden begann.

Diese Unart konnte ich meinen Schülerinnen und Schülern bald abgewöhnen; aber was ist ein rundes Dutzend künftiger Mimen gegen ein ganzes Volk? !

In der Klasse haben wir inzwischen ein heiter geblödeltes „äh”-Spiel entwickelt. Aber als ich neulich Zeuge einer Kultur-Sendung wurde, kam mir zum Bewußtsein, daß die Diskutanten, unbewußt, in unglaublicher Manier dieses „äh”-Spiel spielten.

Man wird es mir nicht glauben, aber es begab sich ungefähr wie folgt: „äh die Baugeschichte äh der äh Ringstraße ist äh gekennzeichnet äh von der äh Persönlichkeit äh Otto Wagners und den äh manieristischen Repräsentativbauten äh Ferstels und äh Hansens und äh.”

Ich finde es großartig, wenn Menschen, die etwas zu sagen haben, dies im Fluß ihrer Gedanken quasi mitschreiben, wenn es nicht auswendig gelernt ist und nicht abgelesen.

Meine Erfahrungen im Konservatorium haben ergeben, daß man es beim „äh — äh” nicht mit einem unlösbaren Problem zu tun hat, sondern nur mit einer Unart, die durch geringe Mühe zu tilgen wäre. Das Heilmittel ist so naheliegend wie einfach. Es heißt Pause.

Wer nicht im besten Einvernehmen mit seinem Vokabular ist, wer Inhalte durch die freie Rede zu „transportieren” hat, wie man heute so gern sagt, der kann es sich, glaube ich, mit geringer Mühe angewöhnen, statt „Ich äh halte das äh für einen äh krassen äh Widerspruch” zu sagen: „Ich — halte das — für einen — krassen — Widerspruch”.

Ich habe inzwischen eine Stunde lang Radio gehört. Ich konnte sehr deutlich zwischen professionellen Sprechern '— nicht nur ORF-Angehörigen — und äh-äh-Stammlern unterscheiden. Ich möchte die Letztgenannten herzlich bitten, in sich zu gehen und dortselbst einen Anti-äh-äh-Feldzug einzuleiten.

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