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Das Haus in der Träne

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Nachdem sie einander erklärt hatten, daß sie sich nicht liebten, waren sie noch mehrere Male zusarnmengekommen. Sie hatten dabei jedes Mal versucht, dem anderen die neue Lage verständlich zu machen, aber sie sprachen wissenschaftlich und kühl, und darum waren sie bis jetzt stets unerlöst auseinandergegangen. Heute aber, als Karl vorschlug, sie sollten noch einmal zärtlich zueinander sein, zum Abschied sozusagen, küßten sie sich fast wie früher, und dabei fing zuerst Maria zu weinen an, und dann bekam auch er eine ziemlich belegte Stimme.

„Es ist sehr schade", sagte Maria, „daß es zwischen uns nicht geht."

„Ja", sagte Karl, und eben dabei wurde seine Stimme belegt, „es war vielleicht nie das Richtige, und das ist sehr, sehr schade."

Dann lagen sie eine Weile still nebeneinander, hielten sich umschlungen und weinten schließlich eine Träne, eine zusätzliche, besondere Träne, die so groß war, daß Marias ganzes Haus darin

Platz hatte, und als Karl schließlich ging, das heißt, als er schließlich aus dieser Träne herausstieg, was gar nicht leicht war wegen der Kohäsion, schwamm Maria noch eine Weile im Haus herum, bevor sie sich schlafen legte.

Und nun waren sie erlöst, auch wenn Maria fortan Schwierigkeiten hatte beim Verlassen des Hauses, denn die Träne hatte für sie eine noch größere Kohäsion, es war viel Anstrengung notwendig, um aus ihr herauszukommen, aber auch, um wieder nach Hause, das heißt in die Träne hineinzukommen.

Für ihn war es etwas leichter, denn er mußte nicht so oft aus und ein gehen wie sie. Er kam nur auf Besuch, das allerdings tat er ziemlich regelmäßig, und außerdem war er größer und schwerer. Eben darum fiel bei ihm die Kohäsion der Träne weniger ins Gewicht. Jedenfalls waren sie nun beide erlöst, denn außerhalb der Träne konnten sie sich wie alle anderen Menschen bewegen, und wenn Maria zu Hause war oder Karl zu Besuch kam, mußten sie eben schwimmen.

Da Jjlaria in dieser Träne wohnte - ihr ganzes Haus hatte ja Platz darin - und naturgemäß sehr bald ein großes Geschick erreichte, waren seine Besuche fast nichts anderes als Schwimmlektionen, in denen er sich sehr gelehrig zeigte und stetige Fortschritte machte.

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