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Das Wahlvolk, das ich war

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Meine Frau und ich sind stolze Besit­zer eines Landhauses in einem österrei­chischen Bundesland. In welchem, das verrate ich nicht, und Sie werden mich sofort verstehen.

Wir hatten Wahlen. Es waren Land­tagswahlen, und als Grundbesitzer sind wir natürlich wahlberechtigt.

Schon Wochen vor der Wahl lächel­ten die Kandidaten der beiden Groß­parteien von allen Plakatwänden, sie schmuggelten sich mittels Postwurfsen­dungen in unseren Briefkasten, spra­chen aus unserem Radioapparat, er­schienen auf unserem Fernsehschirm - und das alles, ohne uns zu fragen.

Und sie machten es einem nicht leicht, besonders was das Fernsehen be­traf.

17 Uhr 30: Porträt: Anton Riedl, Kandidat der Linken.

18 Uhr 30: Porträt. Anton Schmied), Kandidat der Rechten.

19 Uhr 30: Zeit im Bild. Riedl und Schmied! über ihre Pläne.

Wir schauen zu. Riedl kommt in eine Kleinstadt, Frauen und Männer jubeln ihm zu, die Schützenkapelle spielt, Kin­der überreichen Blumen. Riedl, sicht­lich gerührt, hält eine kurze Rede und fährt weiter.

Fünf Minuten später. Schmied) kommt in dieselbe Stadt, Frauen und Männer jubeln ihm zu, die Schützenka­pelle spielt, Kinder überreichen Blu­men, Schmied!, sichtlich gerührt, hält eine kurze Rede und fährt weiter.

Ich hatte genug!

„Gehen wir ins Kino!“ sagte ich. Als wir ankamen, begann die Wochen­schau: Riedl kommt in eine Kleinstadt, Frauen und Männer jubeln ihm zu, die Schützenkapelle spielt, Kinder überrei­chen Blumen, Riedl, sichtlich gerührt, hält eine kurze Rede und fährt weiter.

Anschließend: Schmiedl kommt in dieselbe Stadt, Frauen und Männer ju­beln ihm zu, die Schützenkapelle spielt, Kinder überreichen Blumen. Schmiedl, sichtlich gerührt, hält eine kurze Rede und fährt weiter.

Die Luft war voller Reden - die Re­den waren voller Luft.

Meine Frau war für Riedl. Er war te­legen, jovial, man konnte ihm ein gewi­ßes Vater-Image nicht absprechen. Aber auch Schmiedl wirkte vertrauen­erweckend.

„Warum willst du nicht Schmiedl wählen?“ fragte ich.

„Schau dir seine Frau an“, war die Antwort. „Diese Frisur!“

Ich wußte nicht, was die Frisur einer Frau mit den politischen Fähigkeiten ihres Mannes zu tun hat, da aber meine Frau immer recht hat, wird es auch diesmal so sein.

Am nächsten Abend hatte Frau Schmiedl eine andere Frisur. Meine

Frau schwenkte um. Leider trug Schmiedl eine unmögliche Krawatte, worauf sie ihre politische Meinung schnell wieder änderte.

Der Wahltermin kam näher, und wir wußten noch immer nicht, für welchen der beiden Kandidaten wir uns ent­scheiden sollten. Sagte Riedl etwas, das wir für gut hielten, sagte Schmiedl et­was Besseres. Sagte Schmiedl etwas, das wir für schlecht hielten, sagte Riedl etwas Schlechteres.

Gingen wir auf der Straße und drückte man uns ein Foto von Riedl in die linke Hand, hatten wir in der rech­ten schon eines von Schmiedl. Wir wa­ren konfus. Meine Frau entschied sich für Riedl. Ich beschloß, meinen An­walt, Dr. Robinson, zu fragen. Er war ein kluger Kopf und konnte mir sicher­lich einen guten Rat geben. „Hören Sie, Doktor“, sagte ich, „ich weiß nicht, welchen ich wählen soll. Ich kenne kei­nen der Kandidaten.“

Drauf sagte Robinson: „Ich weiß es auch nicht, ich kenne beide.“

Ich ging in mein Stammcafé. Unter­wegs beschloß ich, das Schicksal han­deln zu lassen. Ich zählte an meinen Knöpfen ab: Riedl, Schmiedl, Riedl - der vierte Knopf war abgerissen. Das brachte mich in ein schweres Dilemma. Sollte ich den vierten Knopf gelten las­sen oder nicht? Als aufrechter Staats­bürger beschloß ich, ihn für ungültig zu erklären und den Kandidaten meiner Frau zu wählen. Das heißt - warum ei­gentlich? Ich könnte doch ebensogut mit Schmiedl beginnen, dann würde er

auf dem dritten Knopf landen. Das ta, ich denn auch.

Im Kaffeehaus wurde bereits aufge­regt politisiert. Eisig, Zeisig, Knoll und Poll stritten über Vorzüge und Fehler der Kandidaten.

„Ich wähle Schmiedl!“ sagte ich mu­tig-

„So!“ sagte Zeisig eisig, „Ich habe immer gewußt, daß Sie dumm sind, aber für so dumm hätte ich Sie nicht ge­halten.“

„Warum?“ fragte Eisig Zeisig. „Wenn man Schmiedl wählt, muß man dumm sein? Ich wähle ihn auch.“

Knoll mischte sich ins Gespräch. „Sie!“ sagte er verächtlich. „Sie sind ja ein Gehirnliliputaner!“

Eisig sprang auf: „Und Sie?“ schrie er. „Wissen Sie, was Sie sind?“

Ich ging. Ich wollte nicht wissen, was Knoll war. Alle, die es damals erfahren haben, sind für den 4. des nächsten Mo­nats als Zeugen vor Gericht geladen.

Der Wahltag kam, ich ging in das Wahllokal. Während ich dort Schlange stand, blickte ich durch das Fenster auf die Straße. Und ich sah etwas Neues. Drei Plakate. Links das Plakat der Lin­ken mit Riedls Kopf und dem Text: „Riedl ist der Rechte!“ Rechts das Pla­kat der Rechten mit Schmiedls Kopf und dem Text: „Schmiedl ist der Rich­tige!“ Und in der Mitte ein Plakat, schlicht, einfach, ohne Kopf, bloß mit dem Text: „Fina ist der Beste!“

Also ging ich hin und wählte Fina.

Als ich es am Abend meiner Frau er­zählte, erfuhr ich, daß ich eine Kaffee­marke gewählt hatte.

(Aus „Ich erinnere mich nicht“, dtv-Verlag, Mün­chen)

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