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Den Hirschabgeschossen

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Junge und Junggebliebene, manche mit weißem Hemd und Krawatte, andere in flickbedürftigen Jeans. Discomädchen und Lodenmanteldamen - alle waren sie in die Grazer Kammersäle gekommen, um den „neuesten“ österreichischen Liedermacher, Ludwig Hirsch, zu sehen und vor allem zu hören.

Denn was der im froilen Saal mit seiner sonoren, tiefen Stimme von sich gab, das war nicht gerade schlecht: ■Rieder über Liebe, Wohl- stancfävrwahrlosurig, Generationskonflikte, Zivilcourage, den Tod. Pillen' gegen Traürlgkeit (um eines seiner Lieder zu nennen), aber auch Tabletten für die Liebe. Und Aufputschmittel für den Humor: Er kommt auf die Bühne, verbeugt sich lässig vor dem in der Saaldämmerung gespannten Publikum, und stellt sich vor: „Für die, die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Lore Krainer.“ Gelächter.

Er imitiert drei andere Liedermacher, die er sehr gern hat, wie er beteuert: Georg Danzer, Wolfgang Ambros und vor allem Andrė Heller, der einige Tage zuvor ebenfalls in Graz sein Unwesen getrieben hat.

Hirsch hat eine sehr bildhafte Sprache. Wenn er erzählt, wie der Osterhase überfahren wird, oder warum der traurige Watschenmann nicht zurückhaut, oder - und jetzt kommt der politische Hirsch - wie Franz Josef Strauß im Gebüsch lauert - alles beginnt leibhaftig vor dem. geistigen Auge des Zuschauers abzulaufen. Mit allem muß man natürlich nicht einer Meinung sein, trotzdem bleibt viel.

Seine Wörter, Sätze, Aussagen sit

zen. Mal zynisch, mal wieder lustig, seine dunkelgrauen Lieder mit Qualtinger-Patina reißen mit. „Was ist das zärtliche Kraulen an den Zehen? Jes- sas, der erste Wurm.“

Gegen Ende des Konzertes kommt dann das Unerträgliche schlechthin: Er erzählt von einer Bekannten, die er gehabt hatte, die nach einem Autounfall querschnittgelähmt war und sich im Krankenhaus mit dem Kopf die Schläuche' herausriß und starb. Er widmete ihr.ein Lied.

Da macht sich scjion der berühmte kalte Schauer bemerkbar. Der ganze Saal ist betroffen; die Stille "beklemmend. „Da schwebte sie dahin, auf dem großen, schwarzen Vogel.“

Hirsch' Bemühungen haben sich gelohnt: Die Goldene Schallplatte, Beweis für 25.000 verkaufte LPs seiner „Dunkelgrauen Lieder“, hat er schon. Seine „Balance zwischen Humor und Horror“, sein Stil, der „zwischen der schönen blauen Donau und dem abgrundtiefen Wiener Humor“ liegt (Werbefalter), hat in Österreich offenbar eine Marktlücke entdeckt. Und da kommt es nicht selten, daß Jugendclubs, manisch-depressive Jugendliche und vor Liebeskummer Bedrohte den Hirsch abschießen und ihn auf den Plattenteller legen. Weil es einem dann gleichzeitig warm und eiskalt ums Herz wird.

Der derzeit beurlaubte Josef- stadt-Schauspieler und gebürtige Steirer wird sicher noch einige lustige und traurige Weisen auf seiner Gitarre klimpern. Eine Frage wirft sich zwangsläufig auf: Was ist Hirsch für ein Mensch? Vielleicht „nur“ Mensch.

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