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Verwandlungskünstler

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Ein Spaßvogel von Kritiker setzte, wie im Ausland zuweilen üblich, seiner Besprechung des Kinolustspiels „Samstags nie“ eine Darstellerliste voraus. Sie lautete: „Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch“ Genau deizehnmal. Diese Formulierung war kein Jux — der Sachverhalt trifft in der Tat zu. So viele Rollen spielt Robert Hirsch nämlich in der Originalfassung des erwähnten Films. Es sind ein alter Dirigent, ein amerikanischer Geschäftsmann, ein französischer Gauner, ein schottischer Pilot, ein spanischer Stierkämpfer, ein italienischer Maurer, ein israelischer Soldat und andere, die allesamt einer jüdischen Sippe angehören. Auch eine Frau ist darunter, ein fülliges Weibsbild von deutscher Sängerin — viel-leicht die beste Leistung des Erzkomödiarnten Hirsch.

Folgerte aus diesem Umstand ein französischer Journalist: „Würde Robert Hirsch für jede Rolle eine Gage erhalten, konnte er sich ins Privatleben zurückziehen.“ Solche kommerziellen Hintergedanken hat der aus dem Elsaß stammende Darsteller, übrigens renommiertes Mitglied der „Comidie Francaise“, natürlich nicht. Es kommt ihm nicht so sehr auf das Geld an. Viel mehr bereitet es dem „König der täuschenden Ähnlichkeit“ ganz einfach ein Vergnügen, sich beim Spiel möglichst oft zu verkleiden, in tunlichst viele Gestalten zu verwandeln. Seine unglaubliche, bislang unerreichte Fähigkeit, sich bis zur völligen Selbstentäußerung in unterschiedlichsten Typen gleich welcher Profession, welchen Geschlechts, welcher Rasse einzufühlen, wurde und wird immer wieder gerühmt.

In „Samstags nie“ wurde mit der Anzahl der von einem einzigen Darsteller verkörperten Rollen ein Rekord aufgestellt: Dreizehn Parts sozusagen im mimischen AltetTiiQUTig hat es noch nie in einem Film gegeben. Das schaffte bislang nur der 39 Jahre alte Hirsch, noch zudem bei seinem Leinwanddebüt. Später, so etwa in der Gaunerkomödie „Auch große Scheine können falsch sein“ oder in dem Kriegsschwank „Soldat Martin“ — beide Streifen leben ebenfalls von Verwechslungen — beließ er es bei der Wiedergabe von erheblich weniger Figuren, die er allerdings vom Schnellzeichner bis zur „Nonne“, vom Schmierenkomödianten bis zum kommandierenden General um so prachtvoller ausspielte.

Verhältnismäßig früh schon bezog das Lichtspiel aus der Verkörperung verschiedener Personen nur durch einen einzigen Interpreten besondere dramatische Effekte, zum Teil auch künstlerische Wirkungen (siehe etwa Ermlers „Der Mann, der sein Gedächtnis verlor“ oder die beiden Fassungen von „Der Student von Prag“ mit Paul Wegener und Conrad Veidt). Ermöglicht wurde das durch die Kinematographie selbst, durch optische und kopiertechnische Tricks wie zum Beispiel die Doppelbelichtung oder die Simultanmontage, bei der ein Schauspieler mehrfach auf ein und demselben Bild erscheinen kann. Von Chaplin bis Bunuel, von Minelli bis Orson Welles bedienten sich zahlreiche Regisseure dieses Verfahrens und tun das heute noch — meist im Zusammenhang mit dem, was man Doppelrolle nennt, die praktisch so alt ist wie der Film, auf die während seiner ganzen Geschichte nie verzichtet wurde und wohl nie verzichtet werden wird.

Daß ein Darsteller, sei es gleichzeitig oder nacheinander, eine Vielzahl von Gestalten personifiziert, ist, sieht man von wenigen Präzedenzfällen vor 1945 (darunter auch der bedauerliche von Werner Krauß, der in der antisemitischen NS-Produktion „Jud Süß“ rund ein halbes Dutzend Juden wiedergab) ab, indes erst eine „Mode“ neuerer Zeit, die sozusagen die kinematographische Ein-Mann-Show hervorgebracht hat. Exemplarisch hierfür sind etwa des Briten Robert Homer 1950 gefertigte Mörderkomödie lyAdel verpflichtet“, in der Alec Guiness sich in sechs verschiedene Personen — eine Frau ist auch dabei — verwandelt, Verneuils 1954 erstellter Jux „Der Hammel mit den fünf Beinen“, worin Fernandel sechsmal als ein anderer auftritt (ebensooft erscheint Jerry Lewis in seinem herzerfrischenden Klamauk „Das Familienjuwel“ von 1965) und Stanley Kubricks Satire „Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ aus dem Jahre 1964; freilich bringt Peter Seilers es hier nur auf drei Figuren, den Titelhelden, den US-Präsidenten und einen Offizier der Royal Air Force. Der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung ist „Samstags nie“ mit Robert Hirsch.

Für solche komödiantische Allroundleistungen gibt es mancherlei Gründe. Teils sind sie Uterarisch-dramaturgischer Natur, im wesentlichen also vom Stoff, der Erfindung und Gestaltung der Fabel gegeben — dann etwa, wenn die Geschichte von Familienmitgliedern handelt, wenn Verwechslungen unterlaufen usw. Teils liegen sie in der Eigenart der Darsteller, ihrer unbändigen Verwandlungsfreude, ihrer verblüffenden Fähigkeit des Imitierens und Parodierens — in welchen Fällen häufig Filme eigens für sie geschrieben und gedreht werden. Immer aber bedeutet die mehrfache Verwendung eines Interpreten in einem Lichtspiel auch einen zusätzlichen „Gag“, den man sich in der Geschichte der Kinematographie, wie oben erwähnt, schon zu Beginn nicht entgehen lassen wollte (siehe hier etwa Henny Porten als Dienstmädchen und feine Dame zugleich auf der Leinwand, den Amerikaner Paul Morgan, der mit sich selbst ein Duett singt, und derlei Einfälle mehr).

Ein weiteres Argument für die Nützlichkeit dieser Praxis machte Alex Joffe, der Regisseur von „Samstag nie“, geltend: „Mit meinem System ist das finanzielle Problem der Besetzung gelöst. Warum einen Haufen Geld für eine Vielzahl von Darstellern ausgeben? Ein Schauspieler genügt!“ Sicherlich — wenn er Robert Hirsch heißt. Oder Fernandel. Oder auch Peter Seilers. Mit vielen anderen kann man jedoch schwerlich einen ganzen Film bestreiten, jedenfalls nicht mit ihnen allein. Dazu reicht es nicht.

• Unter dem Motto „Zukunftstendenzen von Film und Fernsehen“ findet in Wien vom 17. bis 20. Oktober 1967 die VII. Internationale Filmwissenschaftliche Woche, veranstaltet von der österreichischen Gesellschaft für Filmwissenschaft gemeinsam mit der Internationalen Vereinigung und der deutschen und schweizerischen Gesellschaft gleicher Art statt. Die „Furche“ wird darüber auf einer Sonderseite berichten.

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