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Der eigene Ton

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Ja, vor allem ist es der eigene Ton, der neugierig machen kann, wie es weitergehen mag mit dem jungen Schriftsteller Peter Rosei (1946 in Wien geboren), nach seinem Geschichtsband „Landstriche“ (1972), einem unlängst vom ORF gesendeten Hörspiel und dem nun vorliegenden Roman „Bei schwebendem Verfahren“. Denn thematisch liegt er, seitlich etwas abweichend, auf dem Wege zwischen Franz Kafka und Thomas Bernhard. Mit diesem hat er die Ausweglosigkeit einer psychischen Situation gemeinsam, mit beiden die phantastisch visionäre Übertreibung gesellschaftlicher Verhältnisse, wie aus traumhafter Sicht beschrieben. Tatsächlich endet das in Ich-Form konzipierte Buch mit den Worten: „...versank ich wie in einem dumpfen, endlosen Traum.“

Mit Kafka hat Rosei auch die absolut rücksichtslose Behandlung der Zentralfigur durch eine Art Gerichtsbarkeit („Der Prozeß“) oder die dienstbaren Geister irgendeiner willkürlich waltenden Obrigkeit („Das Schloß“) gemein. Bei Rosei ist es hauptsächlich die Beamtenhierarchie eines absurd funktionierenden Ministeriums. Zum Unterschied von Kafka und auch genauer als Bernhard deutet er den Ort der Handlung an. Zwar nennt er Wien niemals ausdrücklich, aber die rot-weiß-rote Staatsflagge wird erwähnt, St. Marx und die Ringstraße, das Hotel Bristol, der Heldenplatz und seine Reiterstandbilder, wohin allerdings auch die Fenster des imaginären Ministeriums gerichtet sind.

Dort (und auch ansonsten) geht es freilich drunter und drüber. Die Vorgesetzten pflegen die Untergebenen halbtot zu prügeln und unflätig zu beschimpfen, nicht nur, wenn diese einen kleinen Fehler gemacht haben, sondern auch aus Wut über formale Korrektheit. Die Atmosphäre hemmungsloser Brutalität gilt auch für den privaten Bereich. Nachdem Malej, der ängstliche Held der Geschichte, eines nachts betrunken heimgekommen war und im Vorzimmer erbrochen hatte, wird er morgens nicht nur von der Vermieterin exzessiv zur Rede gestellt, sondern von den anderen Untermietern, lauter Beamten, fürchterlich mißhandelt. Er war nur einmal, vor Jahren, mit einem gleichaltrigen Beamten befreundet, der inzwischen hochgekommen ist und ihn protegiert. Auf einmal wird Malej, völlig unbegründet, befördert. Doch in der folgenden Nacht stirbt der „Präsident“ des Ministeriums, und tags darauf bricht im Hause eine Revolte aus, ein Machtkampf jeder gegen jeden, auf Leben und Tod. Es wird geschossen, und es gibt sogar eine Feuersbrunst. Malej wird entlassen. Damit endet der Alptraum. Als solcher ist das Werk offenbar aufzufassen: Ein Alptraum vom Leben in dieser Zeit.

BEI SCHWEBENDEM VERFAHREN. Von Peter Rosei. 229 Seiten. Residenz-Verlag, Salzburg 1973.

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