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Über das Andere zum Ich

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Der Residenz-Verlag hat sein Herbstprogramm, vorgestellt -schöne Einbände, wunderbar aufgemachte Bücher; eine optische Augenweide. Mit den altbekannten Autoren: Ein neuer Roman der unermüdlich produzierenden Jutta Schütting (!rAm Morgen vor der Reise“), der neue Rosei („Von Hier nach Dort“), der zweite Roman von Ernst Novak („Das Versteck“). Das neue Buch von Wolfgruber („Niemandsland“) soll zeitgerecht zur Eröffnung der Frankfurter Buchwoche herauskommen.

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Der Residenz-Verlag hat sein Herbstprogramm, vorgestellt -schöne Einbände, wunderbar aufgemachte Bücher; eine optische Augenweide. Mit den altbekannten Autoren: Ein neuer Roman der unermüdlich produzierenden Jutta Schütting (!rAm Morgen vor der Reise“), der neue Rosei („Von Hier nach Dort“), der zweite Roman von Ernst Novak („Das Versteck“). Das neue Buch von Wolfgruber („Niemandsland“) soll zeitgerecht zur Eröffnung der Frankfurter Buchwoche herauskommen.

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Das Herbstprogramm wirkt thematisch stimmig, wie durch einen roten Faden verbunden. Und das bei stilistisch so unterschiedlichen Autoren wie Schütting und Rosei. Alle drei Bücher sind Romane, der Bezeichnung nach - und eigentlich doch keine. Viel mehr Assoziationen, Ansammlungen von Erinnerungen, Reflexionen. Thema bei allen dreien: die Suche nach der Identität.

Bei Jutta Schüttings Geschichte zweier Kinder (so der Untertitel) „Am Morgen vor der Reise“ ist es am augenscheinlichsten. Die Schütting geht bis in die Kindheit zurück, zu den ersten Eindrücken, ersten Beziehungspunkten, den ersten zärtlichen Erlebnissen, die sich in Nuancen wiederholen. Ein

Rückblick, der auch Gegenwartsbewältigung und Gegenwartserklärung heißen kann, keine tiefenanalytischen Ansprüche stellt, auch gar nicht „irgendwie gedeutet“ werden will. „Im Herbst träumen die Kinder, daß auf der Straße genau unter ihren Fenstern geschossen wird, manchmal aus Maschinenpistolen, meist aber nur einmal aus dem Revolver- es sind aber nur die Kastanien, die von dem Baum vor ihrem Haus auf die Dächer der parkenden Autos fallen.“

Die Schrecken der Kindheit, die frühen Assoziationen an Gewalt, an den Alltag, an die Grauheit. Schütting sagt das alles ganz einfach, schlicht, erschreckend schlicht, biegt die Realität immer wieder um in kindliche Poesie, die sich dann selbst zerstört. Schütting ist eine der besten Stilistinnen unter den heutigen Schriftstellern. Eine, die die Sprache beherrscht, als werde sie von ihr selbst beherrscht. Deshalb bringt sie ihre Geschichten auch immer in den Griff, kann sich disziplinieren, ohne daß der Leser es merkt, ohne daß die Sprache verkrampft.

In dieser Diszipliniertheit liegt auch der Reiz von Schüttings Roman, wird stilistisches „Sich beherrschen“ zur Metapher für Realitätsbewußtsein. Da wird aus der Kindheitsreise, aus den Erlebnissen der beiden Kinder der Versuch, die Gegenwart, die eigene Gegenwart zu bewältigen. Der verzweifelte Versuch, mit Poesie zu durchsetzen, was eigentlich durch „Grausamkeit geprägt ist“.

Die Grausamkeit der Realität- Ernst Novak hat sie in „Versteck“ beschrieben und aufgedeckt. In einem Roman, der aus vielen kleinen Geschichtchen besteht, aus Beobachtungen von anderen Menschen, Reflexionen über Personen. „Er saß aufrecht, ohne sich anzulehnen, seine Knie waren geschlossen, seine Oberschenkel blieben, eng aneinandergelegt, ruhig unter dem Sessel, seine Füße hatte er meist über-einandergelegt, Sohle auf Rist, einmal den rechten auf den linken, dann den linken auf den rechten.“

Novak registriert, sammelt Material für eine Geschichte, die er einmal schreiben will, „später einmal“, sammelt Reste und Torsi einer Realität, die sich ihm versteckt, die er dann aber als Versteck vor sich selbst entlarvt. Novak geht dabei aggressiver, direkter vor als die Schütting, selbstzerstörerisch. Bei ihm bricht das persönliche Bedürfnis viel stärker durch, ist nicht geglättet durch Stil - deshalb wirkt das Ganze manchmal auch wie ein (Sich-) „Losschreiben von den Problemen“: „Er hatte sich an die Hoffnung geklammert, einmal der Sieger zu sein,

und endlich dep Platz zu erreichen, den er gewählt hatte. Er hatte gehofft, daß dieser Platz dann auch wirklich der ihm angemessene und eigene sein werde. Er hatte gehofft, einmal Vater seiner selbst zu werden.“ Das liest sich wie eine Passage aus der „Psychologie des Unbewußten“ von Freud - nur schlechter. Die Trauer über den nicht geglückten Vatermord. Ein schmollender ödipus bemitleidet sich da.

Doch das sind Ausrutscher, Unebenheiten, die halt vorkommen. Sonst ist Novak subtiler, weniger aufdringlich, versucht, Gegenwart und Realität auf sich einwirken zu lassen, seine Identität als Spiegel der anderen zu beschreiben.

Bei Peter Rosei ist das Ganze poetischer, feiner, scheinbar einfacher. Bei ihm ist Reflexion in Handlung verpackt, in eine Reise, in Gespräche, in eine Geschichte, wie es so schön heißt. „Von Hier nach Dort“ ist auch eine Reise durch Italien (wie so oft bei Rosei), von einer Osteria zu anderen, einer Stadt zur anderen. Auf dem Motorrad. Auch hier wieder der Versuch, über das Fremde, Andere (diesmal ein Land) zu sich selber zu kommen. Ein Psychotrip in poetischer Version, mit viel Beiwerk, viel Farbe und kulinarischen Einschüben, wie Peter Rosei es so gut kann. Vielleicht etwas zu gut, denn die Faszination seiner Beschreibungen, der man unwillkürlich erliegt, kann auch gefährlich werden. Etwa wenn Rosei über Tankstellen philosophiert: „Der Wind bläst den Straßenstaub über die Tankstellen. Nachts leuchten die Lichter der Tankstellen in der Finsternis. Alle Tankstellen sind gleich. Am schönsten sind aufgelassene Tankstellen. Sie fangen an, ein Gesicht zu bekommen, dorthin zu ge-

hören, wo sie sind.“ Da wird es dem Leser doch etwas mulmig, und der Text riecht fast nach abgestandenem Benzin.

Bei einem Autor, der so viel schreibt wie Peter Rosei, müssen derartige Schwächen und Plattitüden unweigerlich vorkommen, müssen sich originäre Metaphern abnutzen, spröde werden. Trotzdem - ich las die Reise des'Peter Rosei in einem Zug, war gepackt, fand sehr leicht Identifikationsfiguren, anders als bei den beiden „Sprachästheten“ Schütting und Novak. Bei Rosei ist das viel handgreiflicher, direkter, näher. Dafür sind seine Schwachstellen auch augenscheinlicher, weil sie nicht überspielt werden durch Glattheit und eine verwirrende Syntax. „Ich sah einen großen Felsen und winkte. Ich war glücklich. Ich versuchte zu fliegen, und es gelang.“

Fliegen kann auch der Leser, in den Gedankengebäuden von Rosei. Und irgendwann im Laufe der Geschichte stellt sich auch ein Glücksgefühl em.

AM MORGEN VOR DER REISE. Von

Jutta Schütting, Residenz-Verlag, Salzburg 1978, 162 Seiten, öS 168,-

DAS VERSTECK. Von Emst Novak, Residenz-Verlag, Salzburg 1978, 154 Seiten, öS 168,—.

VON HIER NACH DORT. Von Peter Rosei, Residenz-Verlag, Salzburg 1978,118 Seiten, öS 148,—.

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