Naturverstrickt

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Peter Roseis poetische Antworten auf philosophische Fragen.

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Peter Roseis poetische Antworten auf philosophische Fragen.

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Naturverstrickt" ist mehrdeutig der Obertitel dreier Essays, in denen Peter Rosei mit der größten aller Fragen ringt: Natur, was ist das? Kein Wunder, daß er sich bei solchem Don-Quixotte-Unternehmen schon auf Seite zwei verstrickt: "Wo ist denn die Grenze zwischen der Natur und uns? Gibt es eine Grenze?" Der Leser, sogleich gefesselt, ist gespannt, wie hier ein Dichter mit Verstrickung umgeht.

Zunächst zur Methode. Rosei führt seinen Diskurs zweisprachig. Die Frageknoten knüpft er philosophisch, aus den Schlingen zieht er sich poetisch. Beispiel für diesen Code-Wechsel: "Werden wir von der Natur bestimmt, oder bestimmt das Naturhafte in uns die umgebende Natur?" Darauf: "Einmal sah ich einen Igel durch ein Wäldchen gehen. Der Bursche war prächtig aufgelegt. War ja auch ein freundlicher Tag. Ich folgte dem Igel, wurde immer fröhlicher. Wohin er denn ging? Durch das Wäldchen!" Derart sind die Bildantworten häufig Bilderrätsel, die der Leser noch zu lösen hat.

Verstrickt also ins klassische Frage-Anwort-Labyrinth, mit der Begrifflichkeit von Aristoteles bis Wittgenstein, was ist Ausdehnung, Zeit, Wirklichkeit, Bewußtsein, Denken, Sprache? Aber Don Quixotte sieht hinter dem scheinbar Verstandenen überall das Ungeheure. Er will sich mit nichts zufrieden geben. Sich verlieben? Welche Illusion! Sich umbringen? Hohngelächter! Weiter nachdenken? "Je länger du nachdenkst, desto undeutlicher wird dir das Bild von der Welt".

Er stolpert durch die "Kulissenlandschaft" der Erscheinungen, "man könnte sie auch sibirisch nennen, in ihrer aufrichtigen Einladungsgeste zum Verrecken". Er wird ausfällig, spöttisch, verzweifelt. Die Welt ist ihm voll leerer Stellen, hat eine "Löcherstruktur". Er erschrickt vor dem Naturhaften in sich selbst, er findet sich am "Rand des Mahlstroms", die "notorische Gewalt" der Natur blickt auf ihn nieder: "König Henker!" Edgar Allan grüßt herüber: Die Lust der Verstrickung als poetisches Abenteuer.

Erstaunliche Entfesselungstricks werden versucht, einer davon ist die Totalverweigerung: "Es gibt kein Problem, das Probem ist eine Erfindung des Menschen." Gordischer Umgang mit den Knoten. Ein anderes Manöver ist Sarkasmus: "Nachts leuchten die Vulkanschlünde in der Landschaft, und ihr Brüllen übertönt das eigene Angstgebrüll in der Finsternis; das ist wohltuend." Oder er stellt sich flugs auf die Seite der verstrickenden Natur: Ist Bewußtsein ein Menschen-Eigentliches? Antwort: "Das bißchen Bewußtsein reicht nicht aus, um ein spezifisch menschliches Verhalten zu ermöglichen". Oder Befreiung durch die Sprache? Nein, auch sie gehört zur Natur. Aber sie ist Zaubermittel, als Dichter kann er sie zähmen und über sie verfügen, wenn er mit ihr wie "mit einem langen Stab herumfuchtelt, um den Geist der Dinge zu beschwören". Mit Sprache entzieht er sich, wenn nicht wirklich, so doch magisch der Verstrickung.

Am freiesten fühlt er sich, wo er Natur am nächsten kommt: "Der Tod als materielle Verwandlung schreckt uns nicht." Und ebenbürtig ist er ihr im Umgang mit dem Chaos. Im Pflanzensamen, zu Beginn des Keimens, bricht die Molekülordnung zusammen. Das ist "der wirklich sublime Moment, der Schlüssel- und Beginnmoment", für die Natur genauso wie für den Künstler. "Künstlerisches Vorgehen bedeutet Unterlaufen der Macht der Ordnungsregel." Der Künstler muß Anarch sein, muß Strukturen destabilisieren, "alte Konzepte zerstören, um etwas Neues zu sehen". Wer weiß es nicht: Kunst kann gefährlich werden.

Die beiden ersten Texte sind Versuch, Fragment, Eintragungen ins Sudelheft des Dichters. Ins Hauptthema Natur wird Verschiedenes aphoristisch oder als Parabel eingestreut: Ansätze zu seiner Schreibtheorie, Merksätze über Schmerz, Liebe, Toleranz, Selbstgespräche eines Einzelreisenden. Die aus der Ordnung immer wieder ausbrechende Form paßt zum Thema und ist auch sonst Roseis Art. Als Poet schafft er die wunderbarsten Bilder, als Anarch baut er Spreng-Sätze, springt aus der Spur, bricht ab. Der Poet braucht die Sprache, der Anarch will am liebsten schweigen, das ist die unlösbare Selbstverstrickung Roseis.

Der dritte Text, Transkript eines Auftritts im Literarischen Quartier 1966 in Wien, ist ein Dialog mit dem englischen Autor Redmond O'Hanlon. Zwei verwandte Geister halten ihre Natur-Anschauungen nebeneinander: Dort englisch-protestantische Tradition, mit Darwin und englischer Naturtheologie, ohne "Ballast der abstrakten Fragen", hier romanisch-katholisches Denken, mit Spinoza, Don Quixotte und eben diesem Rosei, verstrickt in seinen "ganzen metaphysischen Krempel". Ein gehöriges Maß Ironie vereint die beiden schließlich.

Peter Rosei, geboren 1946 in Wien, schreibt Romane, Erzählungen, Gedichte. Das jüngste Büchlein ist sein Privatissimum der Überlebenskunst im Gewirr der unlösbaren Fragen.

Naturverstrickt Essays von Peter Rosei, Sonderzahl Verlag, Wien 1998, 106 S., brosch., öS 198.

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