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Die Masken des Peter Rosei

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Die vielen Gesichter des Peter Rosei - unter diesen Titel könnte man die beiden Bände „Der Fluß der Gedanken durch den Kopf* und „Wer war Edgar Allan?“ zusammenfassen. Auf den ersten Blick haben die beiden Bücher nichts gemein - außer dem Verfasser; erst bei genauerem Lesen entdeckt man Parallelen und Grundtendenzen, die auf eine dominierende Problematik hinweisen.

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Die vielen Gesichter des Peter Rosei - unter diesen Titel könnte man die beiden Bände „Der Fluß der Gedanken durch den Kopf* und „Wer war Edgar Allan?“ zusammenfassen. Auf den ersten Blick haben die beiden Bücher nichts gemein - außer dem Verfasser; erst bei genauerem Lesen entdeckt man Parallelen und Grundtendenzen, die auf eine dominierende Problematik hinweisen.

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„Der Fluß der Gedanken durch den Kopf" besteht aus drei kurzen Texten über drei literatische Figuren: Saint Exupéry, den bekannten französischen Romancier, Robert Louis Stevenson und Till Ulenspiegel. „Logbücher“ steh't im Untertitel, also Tagebuchaufzeichnungen, Notizbücher oder „Versuche, die Welt zu verstehen“.

Alle drei Figuren sehen sich mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die sie belastet, bedroht. Gleichzeitig sehnen sie sich nach einer anderen Wirklichkeit; Saint Exupéry nach der scheinbar freien und widerspruchslosen Wirklichkeit des Fliegers, Robert Louis Stevenson träumt von unzerstörbarer Ruhe und direkter Sinnlichkeit, der ins New York des 20. Jahrhunderts versetzte Till Ulenspiegel trauert seiner romantischen Vergangenheit in friedlichen Kleinstädten nach. Die drei träumen und flüchten, ziehen sich in ein trügerisches Exil zurück, in eine Scheinwirklichkeit; um sich damit der Gegenwart zu'entzie-hen.

Die Figuren vermitteln Traurigkeit und Resignation über eine Welf, der sie sich hilflos ausgeliefert glauben. Immer wieder sprechen sie vom Tod. Der einzige Kontakt zur Wirklichkeit sind die Logbücher, die exakten Aufzeichnungen von Tagesereignissen und psychischen Zuständen. Es scheint, als wollten sie alles Bedrückende, Bedrohliche aufs Papier bannen und damit die Wirklichkeit bewältigen.

In diesen Momenten artikuliert sich auch der Autor, legt seine eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte in die der Figuren, durchsetzt sie gewissermaßen mit seiner Biographie, flicht seine eigene Realität sein. Die Assoziationen der drei Figuren könnten die Gedanken und Ängste Peter Roseis sein - metaphorisch verkleidet.

Da versucht einer, sich in anderen auszudrücken. Er tut dies sehr subtil, eignet sich die formalen Charakteristika der drei Figuren an und versteckt sich in ihnen. Ein durchaus legitimes und überaus reizvolles Unterfangen. Rosei hatnicht plagiiert, er verfremdet auch nicht, sondern setzt leise, persönliche Akzente.

Das zweite Buch „Wer war Edgar Allan?“ ist zuletzt erschienen. Der Titel läßt an Edgar Allan Poe denken, einen der Väter der phantastischen Erzählung. Ort der Handlung ist Vene-

dig. Vordergründig geht es um Rauschgift und um die Aufklärung eines Selbstmordes, der sich als Mord zu

entpuppen scheint, um einen Drogenring, der auf raffinierte Weise seįne Abnehmer beliefert und der Polizei ein schier unlösbares Rätsel aufgibt.

Doch hinter dieser Geschichte verbirgt sich mehr. Da sind zwei Menschen, die sich selbst mehr und mehr entfremden, ihre Identität verlieren, in Masken auftreten und verzweifelt versuchen, wieder Klarheit zu gewinnen. Beide sind drogenabhängig, schwanken von einem Exzeß und der darauffolgenden qualvolen Ernüchterung in

die andere, hilflos einer feindlichen Wirklichkeit ausgesetzt. Sie verfolgen einander, verdächtigen einander des Mordes an einer rauschgiftsüchtigen Adeligen, erpressen einander. Sie bewegen sich wie zwei Marionetten in einer grausamen Maschinerie.

Exakt und präzis, ohne Sentimentalität, analysiert Rosei eine sich mehr und mehr verdichtende Schizophrenie. Er spiegelt diesen Prozeß auch im Formalen wider, indem er die Erzählperspektive wechselt, von der ersten in die dritte Person übergeht, Brief-stellen in das Geschehen montiert, Vorausblenden einschiebt, in denen

vom Tod des Protagonisten die Rede ist.

Damit wird der innere Zustand der gespaltenen Personen im Formalen Transparent, die Chronologie der Handlung wird ständig durchbrochen; man ahnt die Geschenisse voraus, wird dann aber doch überrascht. Ein formales Meisterwerk, das nie formalistisch wird, den Inhalt nie mit rein sprachlichen Experimenten überlagert. Aus einer Fülle von Material entsteht ein zwingender, innerer Zusammenhang, assoziativ entwickelt sich ein psychischer Prozeß.

Auch stilistisch überzeugt das Buch, da Rosei nie übertreibt, nie aufdringlich psychologisierend wirkt. Die Beschreibung Venedigs zum Beispiel zählt zu den unkonventionellsten und dichtesten, die ich kenne. Hier wird Atmosphäre durch sprachliche Beobachtung und Montage von Assoziationen transparent. Rosei begnügt sich nicht mit einer banalen Aufzählung

von Fakten und Äußerlichkeiten, vermittelt keine Bildungsklischees. Venedig erscheint in einem neuen, ehrlichen Licht, vermittelt durch einen Menschen, der seine innere Spaltung fast bewußt miterlebt und verzweifelt seine Identität sucht, eine Wirklichkeit, die er akzeptieren kann.

In dieser Sehnsucht, in diesem Suchen nach einer neuen, persönlichkeitsgerechten Wirklichkeit äußern sich auch die Parallelen der beiden anscheinend so gegensätzlichen Bücher. Die Grundtendenz ist beiden gleich, die Handlung nur eine Facette des selben Problems.

DER FLUSS DER GEDANKEN DURCH DEN KOPF. Van Peter Rosei, Residenz-Verlag, Salzburg, 1976, 103 Seiten, öS 85,—

WER WAR EDGAR ALLAN? Von Peter Rosei, Residenz-Verlag, Salzburg 1977, 119 Seiten, öS 138,—

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