In der kleinen Großstadt Wien

Werbung
Werbung
Werbung

Peter Roseis Romanwege führen in die Hauptstadt der österreichischen Nachkriegsrepublik.

Peter Roseis umfangreiches Werk zeichnet sich durch große Vielfalt aus und weist trotzdem einen charakteristischen Bezugspunkt auf: Zeit seines (Schriftsteller-)Lebens ist Rosei ein Reisender durch viele Weltgegenden. Das Reisen ist ein zentrales Motiv und Thema seiner Literatur. Nicht jeder seiner Wege ist freilich auf einer Landkarte eingezeichnet. Das Lesen eines Rosei-Buchs ist immer auch eine Art Forschungsreise.

Das neue Werk ist zwar kein Reiseroman, der Leser kommt aber trotzdem weit herum. Die literarische Expedition führt einerseits von den polnischen Masuren über Klagenfurt, Parndorf sowie viele andere Orte in die österreichische Metropole und anderseits aus einer Klagenfurter Vorstadtwohnung bis zum Abonnement im Parkett des Wiener Musikvereins. Die Abenteuer sind zugleich geografisch und sozial-(geschichtlich). Das Erzählte wächst weit über das Alltägliche hinaus, die Orte, Personen und Motive verlieren jedoch nie den Realitätsbezug.

Multiples Werk

Roseis "Wien Metropolis" ist ein multiples Werk, das den Leser von Anfang an zum Teilnehmen und vor allem Mitdenken geradezu provoziert. Es wird keine lineare Geschichte erzählt, sondern es entsteht eine umfangreiche Saga, die streckenweise und adäquat im Plauderton gebaut wird. Die gebrauchte Sprache hat der Autor im Roman sozusagen selbst beurteilt, zumal es heißt: "Sie war einfach und elegant, salopp bisweilen, und manchmal vielleicht sogar ein bisschen anzüglich." (Im neuen Roman wird mit einer nachvollziehbaren, das heißt nicht übertriebenen Frequenz "gevögelt".)

Die Intention Roseis ist es, mit einem Personal von mehr als zehn Hauptfiguren, die verschiedenste Charaktere und Lebensschicksale aufweisen, das (Zeit-)Gefühl der Nachkriegsrepublik, vor allem aber der Hauptstadt, die nicht ohne Grund der Dreh- und Angelpunkt des Romans ist, hauptsächlich im ersten Vierteljahrhundert nach dem "Zusammenbruch", wie der gelernte Wiener in Roseis Roman das Ende der Hitlerei nennt, wiederzugeben. Und es sei vorweg gesagt, dieser Absicht wird der Schriftsteller in jeder Hinsicht gerecht.

Nachkriegsrepublik

Im Roman werden Menschen aus den verschiedensten Gegenden des ehemals größeren Österreich in die Metropole gezogen. Aus Rumänien, Galizien, Böhmen, Kärnten, dem Pinzgau und Burgenland, gleichsam in "guter alter" österreichisch-ungarischer Tradition.

Über die "Metropolis" sagt ein freundlicher Peter Rosei: "Wien ist keine große Stadt, wissen Sie. Wien ist eine kleine Stadt - eine sehr kleine Stadt. - Wenn's einer weiß, wissen es alle!" In dieser kleinen Großstadt bewegen sich nun exemplarische und echte Wiener. Der jüdische "Autokaiser" Josef Leitomeritzky mit und ohne seine Viktoria Strnad sowie deren Sohn Alfred und dessen Freund Georg. Letzterer heiratet Klara Wohlbrück, das behütete Töchterchen Professor Adolf Wohlbrücks, eines gut situierten Mediziners, und seiner Frau, die sich lieber von Wildfremden als vom eigenen Mann bedienen lässt und mit ihnen in Stundenhotels ihr Doppelleben genießt.

Identitäten entschlüsseln

Dem bürgerlichen Teil der Gesellschaft sind noch drei Universitätsprofessoren und ein Dichter zuzurechnen. Der belesene Österreicher wird diesen Schriftsteller, einen "dünnen, pockennarbigen Menschen mit einer clownesken Knollennase ... und glatt über den Kopf gekämmtem Haar", mit Sicherheit erkennen.

Vergnüglich und spannend

Zwei Professoren, die Römischrechtlerin Alvine Traun-Lenggries und der Staatsrechtler Hütter, lehren an der Juridischen Fakultät in Wien, wo der promovierte Jurist Rosei zweifellos zuhause ist. Die Identitäten dieser Wissenschaftler zu entschlüsseln, ist für einen Fachkollegen besonders vergnüglich, um nicht zu sagen spannend. Auch zwei der Haupthelden, Alfred und Georg, studieren zunächst, wie der Autor, Jus in Wien, nur weniger erfolgreich.

Als einziger beim Namen genannt wird Bruno Kreisky, über den Rosei nicht unrichtig konstatiert: "Bewegt von Vorstellungen des Ausgleichs und der Gerechtigkeit, setzte er einige Reformen ins Werk, die grundlegend waren."

Als gesellschaftliches Antonym tauchen in der Nähe des Romanmittelpunkts Angehörige der werktätigen Bevölkerung auf, beispielsweise Maria Jakubulec mit ihrem Vater, der aus einem burgenländisch-kroatischen Dorf stammt, und ihr späterer Ehemann Johann Oberth.

Die "Milieuschilderungen" Peter Roseis sind genauso gelungen wie die der Landschaften: "In den Taleinschnitten rollt der Verkehr, und erst gegen das Zentrum zu, etwa in der Josefstadt, wo der Höhenunterschied zwischen Berg und Tal sich ausgeglichen hat, vermischt sich alles und wird zu einem einzigen, grauen und im Grauen wieder Bunten, hin und her wogenden, scheinbar ziellos sich regenden Ganzen." Noch bestechender vielleicht seine Empfindungsbeobachtung einer jungen Frau: Maria Jakubulec "fühlte ... sich zum ersten Mal selber, ihren Körper, die Beine, die Haut und das Haar, und da stieg ihr zum ersten Mal eine Ahnung auf, wie sie selber wohl in den Augen der anderen aussehen mochte."

Verwobene Erzählstränge

Interessant ist, wie es Peter Rosei gelingt, die verschiedenen Figuren, vor allem seine Haupthelden mit den Nebenfiguren, schlüssig zusammenzuführen. Die vielen Erzählstränge werden im Lauf und gegen Ende der Geschichte nachvollziehbar, sprich nicht konstruiert, verwoben. Und das ist die eigentliche Kunst dieses Romans, zumal man sich anfangs fragt, warum der eine und andere im Buch auftaucht. Am Ende bleibt keine Frage offen.

Alfred verschlägt es von einer Metropole in eine weitere. Er landet beziehungsweise strandet in Berlin und interessiert sich für die Baader-Meinhof-Bande. Vielleicht der Ansatz- und Ausgangspunkt für Peter Roseis nächsten Roman.

Wien Metropolis

Roman von Peter Rosei

Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2005

251 Seiten, geb., e 19,10

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung