Eigentlich wirkt die Sache von der Verlagsseite her ein bißchen unseriös: Nichtkenner des Roseischen Werkes könnten nämlich der Meinung sein, daß der Roman „Bei schwebendem Verfahren" eine Erstveröffentlichung ist, da jeder entsprechende Vermerk verabsäumt wurde. Aber Roseis Opus magnum erschien bereits 1973 und erregte damals zu Recht einiges Aufsehen.
Der Wiener Peter Rosei hat seit jener Zeit eine ganze Reihe von Büchern vorgelegt, jedoch nie wieder jene schreiberische Brillanz erreicht, die diesen Roman so auszeichnet. In einprägsamen Bildern und vermittels einer ungekünstelten Sprache breitet der Autor seine Vision vom Zerfall einer Gesellschaft aus, die an der Bürokratie erstickt und scheitert, da die Mächtigen immer „oben" bleiben wollen, die Machtlosen hingegen konsequent „hinauf" drängen.
Roseis Weltbild ist pessimistisch, und der Franz-Kafka-Preis 1993 wurde ihm nicht von unge-
fähr verliehen. Sicher, auch Alfred Kubin, Hermann Broch und George Orwell lassen grüßen, trotzdem ist dieser Roman ein durchaus eigenständiges und illusionsloses Zeugnis über das Menschentum an sich.
Daß ein allumfassendes Justizministerium mit seiner wohlaustarierten Beamtenhierarchie in Anarchie und Totschlag enden kann, wissen wir frühestens seit dem Justizpalastbrand 1927, spätestens aber seit dem Umbruch in Osteuropa. Insofern ist diese Prosa als visionäre Parabel für eine Gesellschaft zu werten, die sich in einer tiefen Systemkrise befindet.
Mit dem Satz „Im Taumel der von diesem Schauspiel berauschten Masse versank ich wie in einem dumpfen, endlosen Traum" endet dieses Buch, nicht aber die Menschheitsgeschichte. Die Neuauflage des Romans war also notwendig, seine Botschaft ist so aktuell wie eh und je.
BEI SCHWEBENDEM VERFAHREN.
Von Peter Rosei Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 1993. 216 Seiten, öS 374,-.
