trebic - © Foto:  Wolfgang Schwens

Karl-Markus Gauß: Reichtum durch Vielfalt und Offenheit

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Schon seit Jahren führt Karl-Markus Gauß in seinen Werken durch den „Alltag der Welt“ oder vergessene Regionen. Auch in „Die unaufhörliche Wanderung“ werden Weltoffenheit und Wachsamkeit zum Leitmotiv.

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Schon seit Jahren führt Karl-Markus Gauß in seinen Werken durch den „Alltag der Welt“ oder vergessene Regionen. Auch in „Die unaufhörliche Wanderung“ werden Weltoffenheit und Wachsamkeit zum Leitmotiv.

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Seine Reportagen und Essays sowie seine Beschäftigung mit Verschüttetem oder Bedrohtem verbindet Karl-Markus Gauß oft und gern mit einer historischen und kulturpolitischen Spurensuche, bei der das Alltägliche ein außergewöhnliches Fenster auf der literarischen Bühne erhält, weil das am Rand Liegende, Verborgene, leise Glänzende ins Zentrum rückt.

In seiner letzten Prosa „Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer“ nimmt Gauß die Welt von Persönlichem ausgehend ins Visier. Sein neuer Band „Die unaufhörliche Wanderung“ umfasst „Reisebilder, Glossen“ oder „historische Recherchen“, 23 Texte unterschiedlichen Umfangs, die bis auf wenige bereits verstreut publiziert und für diese Ausgabe teilweise auch wieder neu bearbeitet und in eine thematische Ordnung von vier Kapiteln gebracht worden sind.

Friedliches Miteinander

Zu Beginn präsentiert Gauß ein unveröffentlichtes Reisebild, das ins Landesinnere Albaniens, nach Berat führt. In gewohnter Manier erweist sich Gauß als entschleunigter Reisender, der sich dem Land liebevoll in kleinen Schritten nähert. In der sommerlichen Hitze keucht die Gruppe den „blank polierten Weg“ zur Festung hinauf. Rund um diese Burg finden sich im Stadtviertel Mangalem alte Gebetshäuser von Christen und Muslimen in unmittelbarer Nachbarschaft. Zusammenhalt und friedliches Miteinander spiegeln sich ebenso in einer Solidaraktion wider, durch die die Einwohner Berats während des Zweiten Weltkriegs alle Juden ihrer Stadt haben retten können. Am Abend lernen sie in einem alten Gasthaus mit Blick über die Stadt einen Sommelier kennen, der ihnen seinen eigenen Wein kredenzt, ohne selbst je einen Tropfen davon getrunken zu haben, weil er sich, wie er meint, auf seinen Geruchssinn und die Farbe des Weins verlassen kann.

Ein anderer Text belichtet die Geschichte des ehemaligen Ghettos von Třebíč, das trotz seiner Renovierung malerisch alt erscheint. Die Namen auf den Grabsteinen des jüdischen Friedhofs bestätigen, dass die Nationalsozialisten „die jahrhundertelange Anwesenheit deutscher Volksgruppen in diesem Raum für immer beendet“ haben. Gauß legt hier die historischen Kontexte hinter dem zum Weltkulturerbe erhobenen Ghetto frei. Armut und äußerst beengte Wohnverhältnisse zwingen die Juden schon im 19. Jahrhundert zur Auswanderung. Die 281 Verbliebenen, die immerhin die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, werden später allesamt deportiert; aber die zehn Überlebenden kehren nie mehr in die alte „Metropole des Surrealismus“ zurück. Bizarr mutet allerdings an, dass das tschechische Třebíč heute „eine Stadt ohne ­Juden mit dem schönsten jüdischen Viertel Europas“ ist.

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