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Waffenstillstand mit der eignen Lüge:

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Im Wiener Beisl „Ludwig van” erinnert ein deutlich angebrachter Hinweis an den prominenten Gast, der sich hier an Speis und Trank zu delektieren pflegte. Nicht nur im Falle Beethovens, auch sonst weisen Gaststätten, Wohnhäuser et cetera stolz daraufhin, wenn sie dereinst eine berühmte Person beherbergten. Umgekehrt kommentierten auch Musiker, Poeten, diplomatische Gesandte und Herrscher gerne ihre Aufenthaltsorte und Reisestationen in bildlicher oder schriftlicher Form.

Reisen nach und durch Osterreich sind Sujet einer Foto-Wanderausstellung im Wiener Literaturhaus, die im Auftrag des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten von Heinz Lunzer und seiner Frau Viktoria Lunzer-Talos gestaltet worden ist. Bewußt wählte man hinsichtlich der Frage, wie österreichische Kulturgeschichte nach außen getragen werden könne, den vermeintlich wertfreien und persönlichen Blick von außen. Notizen, private Aufzeichnungen, Reisetagebücher, Bilder und schließlich auch Briefe ausländischer Besucher geben Einblick in Eindrücke, die diverse Österreichreisen in ihnen hinterlassen haben. In den Vordergrund gerückt wird dabei der unverstellte Blick auf das persönliche Erleben einer Stadt oder Region, die spontane, private Perspektive.

Kurioses und Erstaunliches verbirgt sich in den Texten, ein lebendiger Eindruck vom Leben in Österreich quer durch 550 Jahre entsteht, und das vor allem auch durch die dazu gefundenen zeitgenössischen Bilder, die mit Akribie und Sorgfalt ausgewählt worden sind. Sie fungieren als eigenständige Objekte oder illustrieren und ergänzen in den Texten Angesprochenes. So hat man selbstverständlich das Foto aufgespürt, das der Schah von Persien bei seinem Wien-besuch im Jahre 1873 von der bekannten Fotografin Adele machen ließ und für das er sich „mit einem außergewöhnlichen Schnurrbart” einen extravaganten Anstrich geben wollte: „Auf der einen Seite war er nach unten gesenkt, auf der anderen Seite nach oben gestreckt.”

Bunt ist das Bild nicht nur hinsichtlich der Vielfalt der besuchten Regionen und Orte, sondern auch hinsichtlich der unterschiedlichen Stimmungs- und Erfahrungswelt. Euphorische Begeisterung, wie sie beispielsweise der Schriftsteller Adolf Glasbrenner gegenüber Wien äußert, steht neben Kritik, etwa des Schriftstellers Max Frisch, über die österreichische Variante der Geschichtslüge: „Charme, zur Haltung gemacht, ist etwas Fürchterliches. Waffenstillstand mit der eignen Lüge. Daher das Kampflose, Müde, Mumifizierende.”

Wie ein roter Faden zieht sich die Beschreibung der österreichischen Eßkultur durch die Beisenotizen. Man ist begeistert von den opulenten Mählern, mitunter geschafft, wenn nach dem fünften Gang kein „Quartier des Magens mehr frei” ist „für Bindfleisch und Hühner in fetter Suppe”, wie es dem Bischofssekretär Paolo Santonino anläßlich eines Besuches auf der Burg Lengberg in Kärnten passiert. „Das Schmausen und Wohlleben ist in Wien allgemein bekannt”, bemerkt der deutsche Schriftsteller Friedrich Nicolai. Schon nach dem Frühstück sitze man beim ersten Bier. Man schwelge förmlich in lukullischen Genüssen. Ihn wundere es weniger, daß der höhere Stand sich derlei leisten kann, viel unvorstellbarer ist, daß die „Schleckerey und Gefräßigkeit bey den mittlem und niedem Ständen dieser Stadt” ebenso groß ist. Es steche sofort ins Auge, daß man hier fast den ganzen Tag ißt. Wen wundert's dann, daß „die meisten nach dem vierzigsten Jahr an der Repletion (Völlerei) sterben”?

In Wien genießt der ausländische Besucher natürlich auch spürbare Gemütlichkeit. Leicht hat er es nicht, wenn er die Einsatzmöglichkeiten der Wiener Floskel „Küß' di Hand” ergründen will. Verwundert ist man über den Müßiggang zahlloser Flaneure und Kaffeehausbesucher; die Arbeitsteilung im Cafe sei übrigens vielfältiger als in der Uhrenerzeugung in Genf, meint der Journalist und Politiker Giovanni Faidella. Auch das Prädikat „Ungeniertheit” wird dem Wiener eindeutig zugesprochen: „Wird es ihm zu heiß, so zieht er den Bock aus; zwickt es ihn in den Beinen, so tanzt er.” (Adolf Glasbrenner).

Den venezianischen Schriftsteller Giacomo Girolamo Casanova belustigen die von Kaiserin Maria Theresia ausgeschickten Keuschheitskommissäre, die zum Schutz der Ehe Mädchen nachspionieren mußten, die alleine auf den Straßen unterwegs waren und plötzlich in irgendeinem Haus verschwanden. Die drohende Gefahr der Festnahme konnte nur ein Rosenkranz bannen, der als sicheres Indiz für einen potentiellen Kirchenbesuch gewertet wurde.

Die Topographie der Schauplätze erstreckt sich natürlich auch auf die anderen Bundesländer. Einblicke in das florierende Bäderleben in Baden oder Ischl lassen auch die Verärgerung über die schleichende „Vertou-ristierung” erkennen, die sich in überhöhten und durchaus nicht gerechtfertigten Preisen bemerkbar macht.

Besonderen Eindruck machen die Landschaften Tirols, Vorarlbergs und die Reise über den Brenner, die auf unterschiedlichste Weise erlebt werden. Viele Maler, Schriftsteller und andere Künstler machten im westlichen Teil Österreichs Station. Dokumentiert wird dies in den Zeichnungen Goethes, in Bildern William Turners, Albrecht Dürers oder in den Beschreibungen der wildromantischen Naturlandschaft durch die Japanische Delegation, die anläßlich der Weltausstellung nach Österreich kam.

Erich Kästner, gebrandmarkt durch die Nazis, weilt im März 1945 in Mayrhofen (Tirol) und wird Zeuge des verordneten Gesinnungswandels, den er in seinem Tagebuch nota-bene 45 bissig am Beispiel der Neu-beflaggung des Ortes beschreibt: „Für die politische Kehrtwendung selber genügen zehn Minuten. Die befriedigende Lösung der Flaggenfrage ist viel zeitraubender. Schon wegen des Ladenschlusses. Denn es genügt nicht, die Fahne nach dem Wind zu hängen. Es muß ja die neue Fahne sein!”

Das Reiseterrain Österreich ist ein weites Feld, hier wurde eine Auswahl getroffen; Reisesplitter, die ob ihrer Brüche und Spezifika ein besonderes Stück Kulturgeschichte beschreiben.

„Innenansichten von außen. Reiseberichte über Osterreich aus 500 Jahren.”

Zu sehen im Wiener Literaturhaus bis 9.7.1997. Die Reproausstellung bietet das Bildmaterial mit den entsprechenden Querverweisen zu den einzelnen Schriftdokumenten, die für den Besucher in einem - zur Zeit leider nur in englischer Sprache verfügbaren - Ausstellungskatalog zugänglich sind.

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