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Der Romanautor als höherer Uhrmacher

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Die Unruhe der Stella Federspiel” von Peter Stephan Jungk ist scheinbar kunstlos, also auf raffinierte Weise kunstvoll geschrieben. Es mag damit manchem Leser so gehen wie dem Rezensenten: Ich begann ihn mit moderatem Interesse zu lesen, fand ganz interessant, doch vorerst nicht mehr, was die Ich-Erzählerin über ihre Tätigkeit, das Entwerfen teurer Uhren, verrät, und wurde von ihrem Versuch, die in einer Schatulle aufbewahrte Taschenuhr ihres Urgroßvaters zu reparieren, seltsam berührt. Denn dieser Urgroßvater der Kunstfigur war kein anderer als der reale Fürst Pjotr Alexe-jewitsch Kropotkin, der Ur-Anarchist.

Noch seltsamer berührt, daß der Autor auch noch lebende reale Personen in seine Geschichte hineinzieht und Jakov Lind ganz beiläufig das Kind einer Romanfigur andichtet. Doch während man sich noch darüber wundert, ist die Geschichte weitergegangen. Eine Geschichte, in der äußerlich recht wenig passiert, während ein Innenleben gründlich aus dem Takt gerät, die Feder eines Menschen schier zu zerbrechen droht, bis der Autor gleich einem souveränen höheren Uhrmacher das Zusammenspiel von Feder, Unruhe und all den Schicksalsrädchen neu einregelt und zuletzt auch die Taschenuhr des Fürsten Kropotkin wieder gehen läßt.

Aber die Geschichte funktioniert ganz unverkennbar. Ich habe diesen Roman mit immer mehr Neugierde und stellenweise fasziniert gelesen und schließlich, befriedigt, daß offenbar alles wieder in Ordnung kommt, also ganz naiver Leser, aus der Hand gelegt. Und werde, so Gott will, auch das nächste Ruch Jungks gleich lesen.

Er kann nicht nur innere Zustände, Gefühle, Krisen beschreiben, sondern auch Außenwelten. Die Auflösung der deutschen Buchhandlung in Los Angeles, die dem Vater und dem Onkel gehörte und einem gesichtslosen Einkaufszentrum weichen muß, ist ein Kabinettstück der Milieuschilderung.

All das Beiläufige, das man zwischendurch über die Uhrmacherkunst und die Lebensumstände der Hauptfigur erfährt, verstärkt das Interesse für ihre Krisen. Die Bürointrige, der Versuch, die manchem etwas zu kreative Uhrenentwerferin zu entmachten, ist geschickt aufgebaut. Und auch ihre vergebliche Suche nach den Fledermäusen in einem alten Schloß, mit dem Besultat, daß sie zwar eine schöne Beobachtung macht, aber erkennen muß, daß die Fledermäuse in der Schweiz so gut wie ausgerottet sind, zählt zu den mehr oder weniger realen Ausflügen in die Außenwelt, die dem Interesse an der Innenwelt immer wieder Nahrung geben.

Die inneren Ereignisse werden intelligent eingefädelt und gesteigert und sind geschickt mit dem Beruf der Zentralfigur verwoben: Vom zurückgekehrten und alsbald wieder vertriebenen Freund, der einen höchst eigenwilligen Zeitbegriff vertritt, wird sie als kapitalistische Managerin beschimpft, doch ihr eigener Zeitbegriff erweist sich als mindestens ebenso eigenwillig: Ohne einmal im Jahr mehrere Wochen lang ganz und gar aus allen äußeren Zwängen auszusteigen und quasi ohne Zeit zu leben, kann sie offenbar gar nicht leben, und für diese Phasen hat sie sich einen privaten Wecker angefertigt, der sie nach einer vorher festgelegten Anzahl von Wochen lärmend in die Arbeitswelt zurückholt.

Peter Stephan Jungk baut mit dem Mittel der Ich-Erzählung die Identifikation mit seiner Hauptfigur auf, man erfährt von ihr selbst, wie unerträglich sie sich gegenüber ihrem Freund aufführt, er zögert sozusagen den Moment hinaus, an dem der Leser die Geschichte auch aus der Perspektive des Freundes zu sehen be-, ginnt (bei der Leserin dauert es vielleicht noch etwas länger), leistet diesem Positionswandel gegen Ende allerdings Vorschub, indem er Stella Federspiel von einem Wutausbruch auf dem Höhepunkt ihrer beruflichen Krise berichten läßt, an den sie sich hinterher kaum mehr erinnert, der aber mit einer schweren Körperverletzung geendet hat.

So gelang ihm nicht nur die Erfindung einer faszinierenden Frauenfigur, sondern auch die Liebesgeschichte einer Schwierigen mit einem Beharrlichen, erzählt aus der Perspektive der Frau, und zwar mit viel Einfühlungsvermögen, soweit dies ein Mann beurteilen kann.

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