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Glanz und Elend des Romantitels

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Von einem Vertreter einer sehr geringschätzigen Meinung über das lesende Publikum im allgemeinen — es kann ein Kritiker, ein Verleger, aber auch ein Autor gewesen sein — wurde gesagt, daß die meisten Bücher ihres Wirksamen Buchumschlages wegen gekauft werden. Man müßte noch dazusagen: eines verlockenden „reißerischen“ Titels wegen.

Wer ist noch nicht von einem Romantitel geradezu magisch gefesselt worden? Und legt es nicht gerade heute der Literaturmarkt darauf an, den Leser durch den Titel in seinen Bann zu schlagen, gleichsam zu verzaubern? Die Techniker in der Erfindung des guten Titels haben hier schon ihre Rezepte, die mit sehr viel Menschenkenntnis und Psychologie zu tun habeni und sie sind nicht immer zugleich die Autoren. Oft hat auch der Verleger, der Ubersetzer jenes „zündende“ Wunderwerk gebaut, das aus wenigen Worten besteht, so einfach hingeworfen erscheint und so raffiniert gemacht ist.

Dazu gehört auch eine gewisse, in Jahrhunderten eroberte Erfahrung. Die Geschichte des Romantitels zu schreiben, hat noch niemand gewagt. Und doch wäre sie interessant, denn welche Entwicklungen sind in ihr zurückgelegt worden! Man vergleiche einen Romantitel von heute mit einem aus dem 16. Jahrhundert, etwa mit dem Jörg Wickrams „Der jungen Knaben Spiegel“, einem der frühesten deutschen Prosaromane: „Ein schön Kurtz-wyligs Büchlein / Von zweyett Jungen Knaben /Einer eines Ritters / Der ander eines bauwren Sön / würt in disen beiden für-gebildt / was grossen nutz das studieten gehorsamkeit gegen Vatter und Müter / schul und lermeistern bringet / Hergegen auch was grosser geferligkeit aüß dem widerspyl erwachsen / die Jugent darin zu lernen / und zu einer Warnung fürzuspiegeln. Newlich in Druck verfertiget durch Jörg Wickram,“

Ist da nicht schon alles drin, was den Käufer anzulocken vermag? Die geheimnisvollen.Andeutungen, das Yersteckenspielen mit dem Romaninhalt, das Andeute und doch wieder Verhüllen spannender, aberiteueriicheT Dinge, Interessanter Verwicklungen, kurz alles dessen, was. die'Leute dänjals Ini den Romanen lesen wollten — und was sie auch heute lesen wollen. Dazu noch ein dick aufgetragener moralischer Zaunpfahlwink, der allerdings heute weniger dem Zeitgeschmack zusagt. Heute 6teht ein großer Teil dessen, was dar mals in den Romantitel hineingestopft wurde, auf dem Waschzettel.

Im Barock geht die Entwicklung des Romantitels in der Richtung efner hoch üppigeren Ausdehnung. Sicherlich spielt hier auch die Art des:Bu'chyertriebes eine Rolle,,der sich ja zum wenigsten in der Buchhandlung, meist aber in den Buden der Jahrmärkte vollzog. Man kann sich gut vorstellen, daß solche Titel bisweilen von findigen Verkäufern im Rahmen des Jährmarkttreibens'' laut vorgelesen wurden, um die Kunden anzulocken.

Frst mit der Aufklärungszeit kommt der überlange und' aufgeschwemmte Romantifel nahezu mit einem Schlag außer Gebrauch — zunächst jedenfalls in der, höheren Literatur, während er in der Trivialliteratur noch einige Zeit fortlebt. Denn inzwischen hat sich auch der Roman innerlich gewandelt. Wenn man die geistige Entwicklung der Neuzeit grob mit der Entdeckung des inneren Menschen gleichsetzen kann, so ist dem Unternehmen im Roman die großartigste Hilfe durch seine Manifestation der Menschenseele erwachsen. Vom 18. Jahrhundert an, besonders aber seit Goethes „Werther“ und „Wilhelm Meister“, vollzieht sie sich in immer steigendem Maß. Nicht mehr die äußeren Geschehnisse, die wechselnden Schauplätze, die Abenteuer, durch die. der Held geführt wird, sind die Anliegen des Romans — derlei war schon im Epos zu lesen. Entscheidend ist nun die innere Entwicklung des Helden, die einhergeht mit seiner Loslösung von überindividuellen Bindungen, sei es des Glaubens oder der sozialen Ordnung, mit seiner Isolierung, seiner Entfernung von seiner Umgebung. Ihr setzt der neue Romanheld eihe innere Entwicklung entgegen, eine Offenbarung des Ich, das im Roman jetzt wichtiger erscheint als alles andere.

Hand In Hand mit dieser Verinnerlichung, die freilich — es muß noch einmal betont werden — nur die höheren Sphären der Literatur umfaßt, geht eine steigende Vereinfachung des Romantitels. Nüchtern und schlicht wird das gesagt, was im Roman drinsteht: Gellerts „Leben der schwedischen Gräfin von G.\ Goethes „Leiden des jungen Werther“, „Wilhelm- Meisters theatralische Sendung“ usw.

Die zunehmende „Entfabelung“ des Romans und seine Ausweitung in die Richtung einer psychologischen Analyse haben dann zu jener Entwicklung des Romantitels geführt, bei der wir heute halfen: einer Nuancierung der Inhaltsangabe im Romantitel in der Richtung“ auf eine bestimmte seelische Impression. Schließlich steht die Impression sosehr im .-Vordergrund, daß auf-eine Andeutung des Irlhalt ganz • Verzichtet wird. Der Titel sdü nicht in den Inhalt des Werkes, sondern nur in seine Stimmung einführen, er soll den Leser in jene Stimmung versetzen, die ihm der Autor für die Aufnahme des Werkes wünscht und zurechtmacht. Ein Meister ist hier Theodor Storm, dessen Novellen ja in besonderem Maß mit Stimmungsmitteln arbeiten. Aus der amerikanischen Literatur der letzten fünfzig Jahre gibt es eine solche Fülle von Beispielen, daß hier nur eines herausgegriffen sei: „Vom Winde verweht.“ Dieser Titel zeigt überdeutlich, daß die Andeutung des Romaninhalts ganz in den Hintergrund tritt.

Und der Trivialroman? Auch er hat sich diese Entwicklung zunutze gemacht, allerdings recht spät, denn die Niederungen der Literatur erweisen sich immer als traditionsgebundener als ihre Höhen. Aber dennoch hat auch hier der Titel gegenüber den Riesenmaßen der Barockzeit eine Reduktion erfahren.

Einige Romantitel der Courts-Mahler erweisen dies: „Ich lasse dich nicht“, „Sie hatten einander so lieb“, „Dein ist mein Herz“, „Wem nie durch Liebe Leid geschah“, „Behüt dich Gott, mein Junge“, „Unser Weg geht hinan“. Etwas jedoch drücken sie vollkommen aus: die geschmalzene, süßliche Sentimentalität, von der solche Machwerke nur so triefen. Hier hat auch der Romantitel seinen Glanz der Schlagkraft und Prägnanz, der edlen Einfachheit, und schlichten Eindringlichkeit, wie er sich uns bei Goethe oder den großen Erzählern des Realismus gibt, verloren und Ist in das Elend hinabgeglitten, das im geistigen Sumpf der Kolportage zuhause ist.

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