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Jakob von Uexküll

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In einem vor Monaten in Capri aufgegebenen Briefe teilt Gudrun von Uex-küll — die bekannte Übersetzerin der Werke Axel Munthes — den Tod ihres Gatten mit. Durch die lange währende Unmöglichkeit jedes schriftlichen Verkehrs mit Italien erfährt man erst jetzt, daß Professor Dr. Jakob von Uexküll. schon am 25. Juli 1944 auf der Insel gestorben — ein fast Achtzigjähriger, „dessen bis zum letzten Tage kristallklarer Geist im Chaos immer noch Wege und Möglichkeiten sah, der alles formte und in einer so schönen Welt der Planmäßigkeit lebte“.

Über die Forschungsergebnisse des Ehrendoktors der Universität Utrecht werden Männer der Wissenschaft berichten. Zweifellos besaß Uexküll die seltene Gabe, vieles auch dem Laien vollkommen verständlich zu machen. So beispielsweise seine Auseinandersetzung mit Darwin Es wird ihm auch jeder zustimmen müssen, wenn er schließlich sagt: „Man muß, wenn wir alles zusammenfassen, einen zwiefachen Vorwurf gegen Darwin erheben. Erstens ist er daran schuld, daß die frühere Ehrfurcht vor der Natur beim großen Publikum in Verachtung umgeschlagen, und zweitens hat Darwin durch die von ihm proklamierte Verschwisterung von Menschen und Affen die religiösen Gefühle der gebildeten Kreise in eine derartige Verwirrung gebracht, daß sie sich in Jahrzehnten nicht zurechtfinden werden.“

Hier sei nur des Schriftstellers Uexküll gedacht, der unter anderem ein fesselndes Erinnerunssbuch geschrieben: „Nie geschaute Welten. Die Umwelten meiner Freunde.“ Verlag S. Fischer, Berlin. Memoiren bedeutender Menschen sind immer interessant. Mit diesem Werke aber hat der große Biologe „einen grundsätzlich neuen Weg“ gebahnt. Er sagt: „Nachdem mich ein jahrzehntelanges Studium darüber belehrt hatte, daß es keine allen Tieren gemeinsame objektive Welt gibt, sondern daß jedes Tier in einer ihm allein zugehörigen Umwelt lebt, konnte ich mich der Erkenntnis nicht mehr verschließen, daß die Lehre von der konventionellen Welt, in der alle Menschen wie auf einer gemeinsamen Bühne ihre Lebensrolle spielen, falsch ist. Auch für jeden Menschen müssen wir seine Spezialbühne aufsuchen, um seine Handlungen zu verstehen. Dadurch gewann ich noch nachträglich ein tieferes Verständnis für meine Freunde. Ich mußte den konventionellen Hintergrund, von dem sich ihre Persönlichkeiten abgehoben hatten, entfernen und sie mit den Kulissen ihrer eigenen Spezialbühne umgeben, wenn ich ihnen und ihren Handlungen gerecht werden wollte. Ich gewann dadurch einen Einblick in eine Fülle nie geschauter Welten, die meine eigene Umwelt glücklich bereicherten.“ Unter solchen Voraussetzungen mußten natürlich ganz besonders spannende und vor allem richtige Erinnerungsbilder einzelner Persönlichkeiten entstehen. Denn: „Zu den iller-schlimmsten Täuschungen verführt uns die selbstverständliche Annahme, daß unsere Umwelt die Welt sei, in der auch alle übrigen Menschen leben.“

„Umwelttehre ist eine Art nach außen verlegter Seelenkunde, die vom Standpunkt des Beobachters aus betrieben wird. Sie ist keine Analyse des Ich. Dies gilt auch für den Fall, daß der Autor seine eigene Umwelt zur Darstellung bringen will.“ Uexküll macht sie hier durch kleine charakteristische Züge deutlich, die uns zeigen, wie schon den heranwachsenden Knaben die Natur mit all ihren Wundern anzieht. Von seinem Vater, dem Stadthaupt von Reval, sagt er: „Ich bin nie einer Umwelt begegnet, die so ungekünstelt gewesen wäre wie die me nes Vaters; großzügig und sicher, reich und doch einfach, diente sie uns Kindern stets zum Vorbild, weil in ihr nach rechtem. Maß gemessen und nach rechtem Gewicht gewogen wurde.“ Der Mutter, einer geborenen Baro-' nesse Hahn gegenüber, „hatten die Kinder immer das Gefühl, völlig durchsichtig zu sein“. Ihr königlich-anmutiges Bild erwächst aus scheinbar unbedeutenden Geschehnissen und man freut sich der vorurteilsfreien Einsieht der strenggläubigen Protestantin: „Niemand kann wissen, ob der Bettler, der vor ihm steht, nicht einen Garten Gottes in sich trägt, der um vieles reicher und schöner ist als der des vielleicht selbstgerechten Gebers.“

Von den Vorfahren seines Geschlechtes erwähnt er, daß sie alle ausgesprochene Herrennaturen waren. „Die Geschichte derer von Uexküll schreiben, ihre siebenhundertjährige Vergangenheit darstellen, hieße die Geschichte Livlands schreiben“, sagt der Historiker.

Zu den Freunden, von denen das Werk erzählt, gehörte auch Rilke, der Gudrun von Uexküll seinen „Cornet“ in der ersten Auflage (1906) widmete. In einem poesieerfüllten Kapitel: „Zauber einer gotischen Umwelt“ lernt der Leser die Schwiegermutter des Verfassers, Gräfin Luise von Schwerin, kennen — und lieben. In ihr und um sie ist lautere Harmonie, und wie nach schmerzvoller Krankheit „friedlich und feierlich“ der Tod zu ihr kommt, empfängt sie ihn mit den Worten: „Mein Geist ist ausgebreitet in Herrlichkeit.“ Rilke nennt sie in seinen Briefen „die Erhabene“, und das Gedächtnis an „die wunderbare, verklärte Gestalt“ bewegt ihn immer wieder neu.

Der Verlust der geliebten Heimat hat schwer am Herzen des Balten gerissen. Von seinem Wohnsitz in Hamburg hatten ihn Zeiten der Rast immer wieder an die Stätte der Kindheit und Jugend geführt. Sein Sohn hat die bittere Abschiedsnot in ergreifenden Strophen, die wie ein Aufschrei klingen, festgehalten:

„.. . Wer bin denn ich, daß ich verreisen kann Wie eine Wolke ohne Ziel und Hafen: Ein dürres Blatt im Sturm, ein Bettelmann, Der aus der Scheune geht, wo er geschlafen.

Hat denn mein Herz nicht zwischen Stein und

Grant

Die Wurzeln tief ins Erdreich eingeschlagen? Bin ich dem Boden denn nicht angebahnt Wie diese Eichen, die den Himmel tragen?“

Jakob von Uexküll selbst hat auf Capri, wohin die Ärzte ihn eines Herzleidens wegen geschickt, in einem feinen kleinen Novellenband voll abgründiger Geschehnisse: „Der Stein von Werder“, der unvergessenen Heimat gedacht.

Die Wissenschaft hat einen bedeutenden Forscher verloren. Darüber hinaus aber dürfen in unserer Zeit wohl wieder Peter Roseggers Worte gelten: daß es am wichtigsten ist, ein guter Mensch gewesen zu sein! Von dem Verewigten konnte seihe Witwe noch in den letzteh Jahren sagen: „Sein Herz ist jung und ganz zart geblieben und vermag jedes Leid wie eigenes zu empfinden.“

Gott hat mii kein Haus gegeben, keinen Stein, es zu erbauen, Einen Wanderstab nur gab er und ein großes Ihm-Vertrauen, Einen Weg, so weit die Himmel blauen — Wald und Feld und Auen, Berge, die zum Himmel schauen. Schluchten, die von Nebeln brauen, Wasserstürze, die im Fall verstaubend, sich in Steinen stauen, Sonne, Mond und Sterne, weiße Bäume, die von Blüten tauen Und zum Rasten laden, Vogelzwitschern, aber auch die rauhen Stimmen wilder Tiere, die mich wecken... Nächte, voll von Grauen. Aber, wenn ich mich erhebe, seh' ich, was die Engel schauen, Uber meinem armen, rauhen Lager steigt in Stein gehauen Eines Domes hochgeschwung'ne, kühne Kuppel in den blauen Himmel und Ich weiß es: meine Hände werden sie erbauenl Elisabeth Kerssenbrock

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