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Der Fall Pilatus

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„Pilatus, eine Szenenfolge um den Prozeß Jesu“ wurde im Auftrag des Carinthischen Sommers geschrieben. Prozeß Jesu, also Passion Jesu: mir war von allem Anfang an klar, daß es unmöglich ist, die Figur Jesu auf die Bühne zu ziehen, auch nicht auf eine Bühne, die in einer Kirche aufgeschlagen wird. Ich mußte das theatralische Geschehen auf eine Nebenfigur umlenken: hier bot sich mir als erste die Gestalt des Pilatus an, Püatus, der Heide, der Römer, Träger der Macht und damit aber auch selbst Opfer der Macht und Schachfigur im politischen Spiel.

Ich ging bei der Konzeption des Stückes von der historischen Tatsache aus, daß der Richter Jesu selbst nach einigen Jahren vor Gericht gestellt und wegen Amtsmißbrauch verurteilt und in die Verbannung geschickt wurde. Hier suche ich Püatus auf - an einem öden Ort am Toten Meer, am Rand der Wüste, er ist ein kranker, verbitterter Mann, der es nicht verwinden kann, daß er vergessen ist. Da setzt die Handlung an: Pilatus ist keineswegs vergessen. In den sich immer mehr ausbreitenden Christengemeinden, in der jungen wachsenden Kirche ist sehr wohl von ihm die Rede: wie und warum, das will Püatus erfahren, und er erfährt es.

In drei Akten wird diese Erfahrung aufgerollt. Im Laufe der theatralischen Entwicklung nähert sich Pilatus der Erkenntnis seines eigenen Stellenwerts in der Geschichte, damit auch der Erkenntnis seiner Schuld.

In dieser Annäherung wird ein aktuelles Problem angeschnitten; wir alle sind Richter über Schuldlose, indem wir unsere Mitmenschen richten; wir alle sind an-dernteils selbst Gerichtete, zumeist jenseits unserer Schuld. Die Weltgeschichte ist eine Kette von Irrtümern und Fehlurteilen. Der Prozeß persönlicher Reifung führt über diese Einsicht, der Prozeß religiöser Einsicht über den Verzicht, „seine Hände in Unschuld zu waschen“.

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