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Der gerade Weg des Fritz Gerlich

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„Geheimakte Gerlich”: Am 10. März brachte ORF 1 um 22.50 Uhr die Dokumentation über einen Mann, der Hitler und den Nationalssozialismus von Anfang an durchschaut und Widerstand geleistet hat. „Der gerade Weg” des Fritz Gerlich endete in der Nacht zum 1. Juli 1934: In Dachau wird er von den Nazis ermordet.

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„Geheimakte Gerlich”: Am 10. März brachte ORF 1 um 22.50 Uhr die Dokumentation über einen Mann, der Hitler und den Nationalssozialismus von Anfang an durchschaut und Widerstand geleistet hat. „Der gerade Weg” des Fritz Gerlich endete in der Nacht zum 1. Juli 1934: In Dachau wird er von den Nazis ermordet.

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Am 3. Jänner 1932 erschien das Wochenblatt „Illustrierter Sonntag” in München mit einem neuen Zeitungstitel: „Der gerade Weg”, mit dem Untertitel „Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht”. Der Herausgeber war der bekannte Publizist Fritz Gerlich und der Leitartikel stellte die Frage, ob das Jahr „1932 Glück oder Unglück” über Deutschland bringen würde. Der Artikel stammte aus der Feder des Eichstätter Kapuzinerpaters und Jugendseelsorgers Ingbert Naab, der zusammen mit Fritz Gerlich dem Nationalsozialismus und Adolf Hitler den schärfsten Kampf angesagt hatte.

Naab skizzierte mit klugen Worten das Glaubensbekenntnis des Blattes: „In unserem Kampf für die Wahrheit”, hieß es da, „haben wir das Beispiel der Propheten vor Augen. Ihre Aufgabe war es, in Zeiten größter Katastrophen sich mit unbeugsamem Mut vor Land und Volk hinzustellen, eine ,eherne Säule' und ,eiserne Mauer' zu sein. Die Propheten laufen nie mit der Mehrheit. Sie bekommen im Gegenteil das Geschick der Vereinsamung furchtbar zu spüren... Die Propheten aber müssen den geraden Weg weitergehen ohne Rücksicht auf Zustimmung oder Ablehnung. Der gerade Weg ist kein Verschmieren und Verwischen der Wahrheit, sondern entschiedene Klarheit. Die Wahrheit kennt keine Kompromisse.”

Hitlers Diktatur verhindern

Niemand wußte das besser als Fritz Gerlich, der sein Leben lang mit einer Leidenschaft nach der Wahrheit suchte, die für seine Zeitgenossen nicht immer angenehm war. „Wenn er sich auf eine Frage stürzte, mußte man an einen Raben denken, der eine Beute aufhackt” schrieb Karl Alexander von Müller, der Historiker, über seine erste Begegnung mit Gerlich.1

Geruchs Mut und seine Konsequenz war beeindruckend. Wer hätte den Mut zu diesen Worten, die im August 1931 in seinem Blatt veröffentlicht wurden? „Ich bin ein Mensch, der nicht nur viel geirrt, sondern bei der Leidenschaft seines Temperaments sicher mehr gefehlt hat als die meisten seiner Zeitgenossen... Aber unser Herr und Heiland Jesus Christus wird dem Mann, der wegen der offenen Aussprache seiner Überzeugung mit dem Strick um den Hals eines Tages zum letzten Urteil vor ihn hintritt, sicher vieles verziehen...”

Die Berufung auf Christus mag manchem Zeitgenossen übertrieben erscheinen - aber Gerlich meinte das ernst bis in die tiefsten Fasern seines Herzens. Und die späteren Ereignisse des Schreckens geben ihm recht.

Wer war dieser Mann, der 1931 ahnte, daß Hitler ihn an den Galgen bringen würde? Er bezeichnete die Nazis als „Hetzer, Verbrecher und Geistesverwirrte”, nannte Hitler einen „Bankrotteur”, den die Regierung einsperren sollte, weil er für die Haßtiraden seiner Nazi-Blätter schließlich verantwortlich sei. Gerlich sah seine Aufgabe einzig und allein darin, Hitlers Diktatur zu verhindern.

Am 15. Februar 1883 in Stettin geboren, kam der Protestant nach dem Abitur nach München, um Naturwissenschaften und Geschichte zu studieren. Die Arbeit als Assessor im Bayerischen Staatsarchiv war zu ruhig für den temperamentvollen Disputanten Gerlich, es zog ihn unwiderstehlich zur Publizistik und in die Politik, damals in den Kreis des Nationalliberalen Friedrich Naumann.

Seine Aufsätze in den Süddeutschen Monatsheften des Paul N. Cossmann brachten Gerlich schließlich 1920 die Berufung zum Chefredakteur der wichtigsten Zeitung Süddeutschlands, den „Münchner Neuesten Nachrichten” (MNN), Vorläuferin der heutigen „Süddeutschen Zeitung”. Bis 1928 leitete Gerlich das Blatt.

Zwei Ereignisse fielen in diese Zeit, die Geruchs Leben und Wirken entscheidend beeinflussen sollten: der Hitler-Putsch im November 1923, dessen blutiger Ausgang Gerlich zum Hitler-Gegner machte, und der Besuch bei der stigmatisierten Therese Neumann im September 1927.

Gerlich war nach Konnersreuth gefahren, „um dem Schwindel auf die Spur zu kommen”, denn den Bericht

Erwein von Aretins in den MNN, der die Nahrungslosigkeit, die Heilung, Visionen und die freitäglichen Blutwunden der „Resl von Konnersreuth” beschrieb, vermochte Gerlich mit seinem kühlen, analytischen Verstand nicht zu verarbeiten.

Der Saulus kam als Paulus zurück und durchlebte eine innere Wandlung, eine Art Berufung, die von nun an sein weiteres Leben bestimmte. Nachdem er im Februar 1928 die MNN verlassen hatte, schrieb Gerlich zwei Bücher über Therese Neumann und wurde dann von ihr und den katholischen Freunden in Konnersreuth und Eichstätt wieder zur Publizistik gedrängt. Die Idee einer Zeitung gegen den Radikalismus von rechts und links entstand und Erich Fürst von Waldburg zu Zeil war bereit, den Kauf des verschuldeten „Illustrierten Sonntag” zu finanzieren. Bis zum Juni 1931 wandelte Gerlich das betuliche Bilder- und Sensationsblättchen immer mehr zu einem aufklärenden Wochenblatt um. Mit dem Artikel „Hitler und Wilhelm IL”, der die für Deutschland so unglückselige, und beiden Männern anhaftende Angeberei verglich, eröffnete Gerllch den Kampf.

Gerlich lehnt eine Flucht ab

Als „Hausknecht Gottes” wollte er, wie er schrieb, „das deutsche Haus so rein fegen, daß die künftigen Geschlechter darin in Frieden nach den Geboten Gottes ihr Leben führen können”. Nicht umsonst hatte sich Gerlich bei seinem Übertritt zum katholischen Glauben am 29. September 1931 in Eichstätt den Vornamen des Erzengels Michael als Taufnamen ausgesucht.

Mit Energie und Ausdauer, mit Leidenschaft und stets als echter Patriot führte Fritz Michael Gerlich einen Kampf gegen die Diktatur in Deutschland wie niemand sonst.

Am 9. März 1933 fiel „Der gerade Weg” als erste Zeitung in München den SA-Horden zum Opfer. Gerlich hatte eine Flucht in die Schweiz abgelehnt, „denn ich bin bereit, für das, was ich geschrieben habe, mit meinem Leben einzustehen!” Auch nach schweren Mißhandlungen hatte Gerlich seinen Top-Informanten nicht verraten: Georg Bell, der viele Geheimpapiere der Nationalsozialisten besaß.

Bis zuletzt hatten Gerlich und Bell versucht, die für die Nazis kompromittierenden Papiere dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zuzuspielen. Das gelang nicht, und Gerlich wollte sie deshalb veröffentlichen.

Aber da kam die SA. Bell konnte noch über die Hausdächer fliehen, doch am 3. April 1933 erschoß ihn ein SA-Mann hinterrücks in Durchholzen am Walchsee.

Am 30. Juni 1934 wurde Fritz Gerlich aus seiner Zelle Nummer 46 im Münchner Polizeigefängnis geholt und gleich ins berüchtigte Lager Dachau gebracht. In der Nacht zum 1. Juli wurde er dort durch Kugeln der SS ermordet.

Der Autor ist in der Leitung des Redaktionsarchivs der „Süddeutschen Zeitung” tätig.

„Nummer 7”

Am 2. Juli 1934 ruft Sofie Gerlich bei der Polizei an, um ihren Besuch im Polizeigefängnis anzumelden. Ihr wird mitgeteilt, daß sie „heute nicht kommen” könne. Nach ein paar Tagen teilt man ihr - inoffiziell - den Tod ihres Mannes mit. Auf die Frage nach seinem Leichnam sagt man ihr, sie könne - gegen Bezahlung der Verbrennungskosten -die Urne abholen. Frau Gerlich verzichtet darauf, weil sie Zweifel daran hat, wirklich die Asche ihres Mannes zu erhalten.

Fritz Geruchs Asche ruht heute in einer oder in mehreren Urnen ohne Namen im Münchner Friedhof am Perlacher Forst. Ins Sterbebuch der Gemeinde Prittlbach (zu deren Gebiet das Lager Dachau gehörte) wird sein Name nachträglich eingetragen: „.... verstorben am 1. 7. 1934 um 10.00 Uhr, Sterbebuch Nr. 17”). Gerlich ist die „Nummer 7” von 21 Toten.

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