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Die Menschewiki im ORF

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„Wer auch immer die Macht in der Hand hat, ich lasse mir jedenfalls nicht nehmen, an ihr Kritik zu üben.” Mit diesen Worten aus dem Munde von Maxim Gorki eröffnete Kurt Dieman, ein kritischer Genosse seiner Partei, das im STYRIA-Ver- lag eben erschienene „pamphleti- sche Sachbuch” (Generaldirektor Hanns Sassmann) „ORF - Hintergründe und Abgründe”. Wahrscheinlich gibt es wenig Berufenere, die zu diesem Thema etwas schreiben könnten, als Dieman, der nicht nur als Autor, Interpret und Regisseur zahlreicher Hörfunk- und Fernsehsendungen, sondern auch als Mitglied von Kreiskys Rund- runkreformkommission über die nötige Sachkenntnis verfügt.

„Drei Jahre nach der Machtergreifung der österreichischen Menschewiki im ORF”, sieht sich SPÖ-Mitglied Dieman genötigt, zur Feder zu greifen, „weil ich betrogen wurde durch den Wortbruch von Bruno Kreisky, der mein Parteivor- sitzender ist.” Dieman will die Reform der Reform der Rundfunkreform, er will die Beseitigung des ORF-Monopols, er wehrt sich gegen den „Medien-Laien” Otto Oberhammer und genauso gegen den

„De-facto-Generalintendanten” Karl Blecha, der mit Gromyko zu ein und derselben Internationale gehöre, ,zur Internationale der Furcht vor Freiheit”.

Wir bringen einen Auszug aus dem Kapitel „Die Ideologie des Hut- schenschleuderers”:

Hutschenschleuderer: Das ist kein Schimpf! Das ist fast ein Kompliment. Hutschenschleuderer waren gemütliche Typen. Mit ihrer Kraft und ihrem „Spruch” (wie man in Wien sagt) unterhielten sie die Leute: die großen und die kleinen. Unermüdlich waren sie am Werk und schleuderten die Hutschen durch die Luft; durch originelle Zurufe ermunterten’ sie -die Insassen, der ungewohnten Art der Fortbewegung - so rasch und doch am gleichen Fleck - erhöhte Lust abzugewinnen. Kraftlackeln waren sie allesamt, die Hutschenschleuderer. Dies erforderte ihr Beruf, dem außerdem etwas vom Besonderen einer Berufung eigen war. Ein Hutschenschleuderer - aus dem Wiener Prater, wie könnte es anders sein - ist sogar in die Literatur eingegangen und in den Himmel: Liliom.

Wer einen Politiker mit einem Hutschenschleuderer vergleicht, geht ein noch größeres Wagnis ein, als der Dichter Molnär, der seinen Liliom heiliggesprochen hat, ohne sich vorher mit dem Papst zu beraten. Denn was heißt denn schon anderes: heiligsprechen, als zu behaupten, daß einer im Himmel ist? Der Politiker, der den Vergleich mit dem Hutschenschleuderer herausfordert, steht indes mit beiden

Beinen auf der Erde: Karl Blecha. Eigentlich ist er ein Tausendfüßler, denn er eilt von einer Sitzung, einer Kommission, einer Diskussion zur anderen, mit ungeheurer Flinkheit. Überall muß er die politischen Hutschen durch die Luft schleudern und deren Insassen mit sprudelnder Rede davon überzeugen, daß sie in der richtigen Hutsche sitzen und daß sie sich pudelwohl fühlen, auch wenn ihnen speiübel wird bei den Stößen, die ihnen der Hutschenschleuderer versetzt.

Karl Blechas, des „Medien-Char- lys”, Lieblingshutsche ist die Medienpolitik. Die Ideologie des Hut- schenschleuderers hat daher auch in jenem Medienpapier seiner Partei ihren Ausdruck gefunden, das die Rundfunkreform von 1974 geistig untermauerte und beim Bundesparteitag der SPÖ im Februar gleichen Jahres den Delegierten mit einem Wust anderen Papiers in die Mappen gestopft wurde.

Die Organisationsform der Massenmedien als das „wichtigste Strukturproblem der Demokratie überhaupt” zu bezeichnen, ist kühn, wenn auch keineswegs abwegig. Die Abwegigkeit beginnt jedoch gleich dort, wo undemokratisch organisiert wird. Karl Blecha führte solches Organisieren in jenem Sitzungssaal vor, wo das Medienpapier ausgehandelt wurde und wo er sich immer als handfester politischer Hutschenschleuderer bewährte. Bei allen Vorarbeiten und Vorentscheidungen für die Rundfunkreformkommission und später dann für die Parteienverhandlungen ging es immer nur um eines: um die politische Macht. Dem Außenseiter mußte es bei diesen Zielvorstellungen immer schwerer fallen, andere Überlegungen vorzubringen, »um picht gleich aus - der- von -Bldcha in Schwung gehaltenen Hutsche herausgeschleudert zu werden. j

Gegen Ende seines Vorwortes (im Medienpapier der SPÖ) läßt Blecha dann die Katze aus dem Sack: nicht die berüchtigte „rote”, sondern nur eine rosarote. Aber die zeigt auch recht bedrohlich ihre Krallen. „Als Korrektiv zu den Entwicklungen auf dem privatwirtschaftlich organisierten Pressesektor und im audiovisuellen Bereich”, meint der „Medienspezialist”, soll eine „öffentlich-rechtliche Organisation der klassischen elektronischen Medien geschaffen werden.” „Korrektiv” heißt laut Duden auch „Besserungsmittel”. Die „öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt” wird vom Hutschenschleuderer als Besserungsanstalt für die freie, unabhängige und fallweise unbotmäßige Presse sowie privatwirtschaftlich organisierbare Massenmedien angedroht.

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